Die 43-jährige Frau Dr. Nikutta ist seit 2010 bei der BVG und seither Vorstandsvorsitzende. Davor war sie von 1996 bis 2010 bei der Deutschen Bahn AG. Sie ist verheiratet und hat vier Kinder.
BBZ: Berlin wurde jüngst von der Europäischen Kommission mit dem „Access City Award 2013“ ausgezeichnet. Was bedeutet das für die BVG?
Dr. Nikutta: Das ist eine großartige Auszeichnung für Berlin. Dass die Jury ausdrücklich den hohen barrierefreien Standard des öffentlichen Nahverkehrs unserer Stadt lobte, freut uns natürlich ganz besonders. Die Zahlen sprechen für sich: Bei der BVG sind schon heute 98 U-Bahnhöfe stufenlos zugänglich und 110 U-Bahnhöfe wurden mit taktilen Leitsystemen ausgerüstet. Bis 2020 sollen alle U-Bahnhöfe behindertengerecht ausgebaut sein. Die Busflotte ist seit Ende 2009 barrierefrei und durch die Bestellung neuer Fahrzeuge in den vergangenen Jahren wird auch unsere Straßenbahnflotte nach und nach bis 2017 komplett mit Niederflurwagen ausgestattet sein. Das Jahr 2012 endete mit einer weiteren guten Nachricht: Ab 2014 werden auch die Fähren, die in unserem Auftrag fahren, nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch wesentlich barrierefreier. Sie bieten zukünftig u.a. mehr Platz für Rollstühle und Fahrräder als bisher. Wir arbeiten also kontinuierlich weiter.
BBZ: Die BVG investiert seit einigen Jahren erfreulicherweise in die Barrierefreiheit von U-Bahnhöfen. Immer mehr Bahnhöfe werden mit Liftsystemen ausgestattet. Wie ist die BVG 2012 vorangekommen und was steht für 2013 auf dem Plan?
Dr. Nikutta: 2012 wurden die U-Bahnhöfe Gleisdreieck, Hohenzollernplatz und Samariterstraße mit Aufzügen ausgestattet und auf dem U-Bahnhof Hermannplatz wurde damit begonnen, die drei inzwischen schon in die Jahre gekommenen Aufzüge von Grund auf zu modernisieren. Diese Arbeiten werden im ersten Halbjahr 2013 abgeschlossen. Auch der stark genutzte Aufzug auf dem U-Bahnhof Gesundbrunnen wurde teilsaniert. Für 2013 ist geplant, neun weitere U-Bahnhöfe mit Aufzügen auszustatten: Magdalenenstraße, Blaschkoallee, Boddinstraße, Leinestraße, Hallesches Tor (U1), Schillingstraße, Ullsteinstraße, Richard-Wagner-Platz und Lichtenberg. Die drei Aufzüge im U-Bahnhof Fehrbelliner Platz und einer der Aufzüge des U-Bahnhofs Zoologischer Garten (U2 Richtung Ruhleben) werden komplett modernisiert, so dass sie anschließend komfortabler und zuverlässig zur Verfügung stehen.
BBZ: Viele Menschen mit Behinderungen, Selbsthilfegruppen und Vereine befürchten derzeit, dass bereits Erreichtes wieder zurückgenommen werden soll. Beispiele dafür sind die Kürzungen beim Behindertenbegleitdienst sowie der Plan der BVG, das automatische Absenken der Busse an den Haltestellen, auf ein Absenken bei Bedarf (Bedarfskneeling) umzustellen. Können Sie uns dazu Neues berichten?
Dr. Nikutta: Aus dem, was ich gerade schon berichtet habe können Sie erkennen, dass Barrierefreiheit für uns ein sehr wichtiges Anliegen ist. Diese Maßnahmen kosten natürlich auch Geld. Nehmen wir die Aufzüge: der Einbau eines Aufzuges in einen bestehenden Bahnhof kostet zwischen 500.000 und mehr als 1 Millionen Euro. Damit nicht genug: anschließend muss Geld für den Betrieb und die Instandhaltung der Aufzüge erwirtschaftet werden. Wenn wir nicht wollen, dass die Kosten explodieren, müssen wir bei dem, was wir tun die Wirtschaftlichkeit im Blick behalten. Im Gegensatz zu fast allen anderen Nahverkehrsbetrieben in Europa haben wir vor einigen Jahren das Absenken der Busse zum Ein- und Ausstieg an jeder Haltestelle eingeführt. Das hatte aber auch Nachteile: die Technik verschleißt schneller und wir vermuten, dass auch erheblich mehr Sprit verbraucht wird und damit gleichzeitig die Umweltbelastung durch Abgase steigt. Darum haben wir beschlossen, den Übergang zum bedarfsgerechten Absenken auf Knopfdruck zu testen. Der Versuch läuft bis zum 31. Januar 2013. Die Ergebnisse werden in den folgenden Wochen ausgewertet und der Öffentlichkeit vorgestellt. Schon heute lässt sich sagen, dass sich zwar viele Verbände Sorgen machen. Es haben sich aber bis heute tatsächlich nur sehr wenige Fahrgäste über das getestete Verfahren bei uns beschwert.
BBZ: Eine Kritik der Behindertenorganisationen ist, dass die Diskussion um das „Kneeling“ zwischen BVG, Politik und Betroffenenvertretern nicht auf Augenhöhe stattgefunden hat. Wie stehen Sie dazu?
Dr. Nikutta: Wir sind mit dem Vorhaben zunächst gezielt nicht an die Öffentlichkeit gegangen, weil wir unvoreingenommene Reaktionen beobachten wollten. Später hat es viele Gespräche und Diskussionen mit dem Landesbeauftragten Berlins für Menschen mit Behinderungen und Behindertenverbänden gegeben. Der Landesbeauftragte und die Behindertenverbände Berlins vertreten sehr engagiert die Interessen behinderter Menschen. Wir haben diese Interessen auch im Blick, müssen aber auch alle anderen Aspekte berücksichtigen. Die Verantwortung für den zuverlässigen und wirtschaftlichen Betrieb liegt allein bei der BVG. Sie können jedoch sicher sein, dass wir Ihre Anliegen nicht aus den Augen verlieren werden.
BBZ: Gute Ausbildung und Arbeit für Menschen mit Behinderungen – was hat das Unternehmen BVG diesbezüglich erreicht und geplant?
Dr. Nikutta: Bei uns sollen Menschen mit und ohne Behinderungen gute Ausbildung und Arbeit finden. Die Schwerbehindertenquote bei der BVG liegt im Moment bei 11,03 Prozent. Schwerbehinderten Menschen stehen in jeder Dienststelle Schwerbehindertenvertreter zur Verfügung und auf Wunsch werden Beschäftigte bei der Beantragung von Leistungen zum Beispiel beim Rentenversicherungsträger unterstützt. Wann immer erforderlich, werden Arbeitsplätze und Dienstpläne behindertengerecht eingerichtet beziehungsweise angepasst. Bei Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen werden selbstverständlich auch behinderte Menschen ausgebildet. In den letzten Jahren waren unter unseren Auszubildenden unter anderem ein Rollstuhlfahrer, ein gehörloser und einen stark sehbehinderter junger Mensch. Alle drei absolvierten bei uns erfolgreich ihre Ausbildung zum Industriekaufmann. Für besonders schwer gehandicapte Beschäftigte steht eine Sonderwerkstatt zur Verfügung. Dort arbeiten derzeit 11 Mitarbeiter.