Kein Entschädigungsanspruch wenn Behinderung nicht bekannt ist
Auf die im Ergebnis zu begrüßende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Wirksamkeit der Kündigung eines HIV-infizierten Arbeitnehmers wurde bereits in der letzten Ausgabe der Berliner Behindertenzeitung ausführlich eingegangen.
Auch ansonsten hat sich das Bundesarbeitsgericht sehr häufig mit Entschädigungsklagen nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu befassen. Dabei ist häufig zu beobachten, dass es sich im Falle von Klagen aufgrund einer Benachteiligung wegen der Behinderung um solche Sachverhalte handelt, bei denen es sich auf Seiten des verklagten Arbeitgebers um Dienststellen des öffentlichen Rechts handelt.
In einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 26. September 2013 hatte sich das Bundesarbeitsgericht als letztinstanzliches Revisionsgericht mit der Klage eines Opernsängers zu befassen. Dieser verfügte über einen Grad der Behinderung von 60 und hatte sich auf eine Stelle als 1. Tenor im Chor einer städtischen Oper beworben. In seiner Bewerbung wies er unter der Überschrift „Spezielle Qualifikationen“ neben vier weiteren Unterpunkten als letztes auch auf seine Schwerbehinderung und den GDB von 60 hin. Er wurde neben 7 anderen Bewerbern zu einem ersten Vorsingen eingeladen. In dem Bewerbungsgespräch blieb die Behinderung unerwähnt. Auch sonst konnte man dem Kläger die Behinderung nicht ansehen.
Nachdem der Kläger erfahren hatte, dass er für die ausgeschriebene Stelle nicht berücksichtigt worden sei, machte er einen Entschädigungsanspruch nach § 15 AGG in Höhe von 3 Monatsgehältern geltend.
Klage wurde in allen Instanzen abgewiesen
In seinen Entscheidungsgründen weist das Bundesarbeitsgericht zunächst noch einmal auf die maßgeblichen Fristen hin, die einzuhalten sind, will man form- und fristgerecht einen Entschädigungsanspruch wegen einer Benachteiligung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geltend machen. Danach muss ein Entschädigungsanspruch zunächst außergerichtlich innerhalb einer Frist von 2 Monaten schriftlich geltend gemacht werden; die Geltendmachung per Email würde insoweit nicht ausreichen. Die Frist beginnt, so das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung, im Falle einer Bewerbung mit dem Zugang der Ablehnung. Die gerichtliche Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs hat dann gem. § 61 b Abs. 1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) innerhalb von weiteren drei Monaten zu erfolgen. Diese Drei-Monatsfrist beginnt ab dem Zeitpunkt der außergerichtlichen Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs und nicht etwa ab dem Zugang der Zurückweisung des Entschädigungsanspruchs durch den Arbeitgeber zu laufen. Im Falle einer Bewerbung verbleiben also maximal 5 Monate zur Durchsetzung des Entschädigungsanspruches. Das Bundesarbeitsgericht weist in seiner Entscheidung noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei diesen Fristen um materiell-rechtliche Ausschlussfristen handelt, der Anspruch also verfällt, wenn diese Fristen nicht eingehalten werden.
Wann ist eine Entschädigung zu zahlen
Das Bundesarbeitsgericht legt dann weiter dar, dass eine Entschädigung grundsätzlich dann in Betracht kommt, wenn objektiv gleich geeignete Bewerber, gerade aufgrund hier des Merkmals Behinderung, ungleich behandelt werden. Die unterbliebene Berücksichtigung im Bewerbungsverfahren muss also jedenfalls auch kausal auf der Behinderung beruhen. Ist der Bewerber schon objektiv nicht für die Stelle geeignet, kann er sich nicht darauf berufen, er sei gerade wegen seiner Behinderung nicht berücksichtigt worden.
In der Praxis ist es für den unterlegenen (behinderten) Bewerber naturgemäß schwer nachzuvollziehen, warum er für die ausgeschriebene Stelle nicht berücksichtigt worden ist. Das AGG sieht hier in § 22 eine Beweiserleichterung vor. Es genügt im Prozess sogenannte Hilfstatsachen, d. h. Indizien glaubhaft darzulegen, aus denen die Benachteiligung aufgrund der Behinderung zu schließen ist. Neben entsprechenden Äußerungen im Bewerbungsverfahren oder der fehlenden Einbeziehung der Schwerbehinderung können dies gerade bei öffentlichen Arbeitgebern auch der Verstoß gegen entsprechende Fördervorschriften bedeuten.
Arbeitgeber muss Kenntnis haben
Die Klage konnte jedoch im vorliegenden Falle auch aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts deshalb keinen Erfolg haben, da Voraussetzung für die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruches wegen Benachteiligung aufgrund der Behinderung die Kenntnis des Arbeitgebers eben von der Behinderung ist. Der Kläger hatte hier zwar in seinen Bewerbungsunterlagen auf seine Schwerbehinderung hingewiesen, dies sei jedoch für den Arbeitgeber, so das Bundesarbeitsgericht, nicht klar erkennbar gewesen. Das Bundesarbeitsgericht verlangt hier, dass der entsprechende Bewerber klar und deutlich erkennbar in seiner Bewerbung auf die Schwerbehinderung hinweist. Dies habe farblich abgehoben oder durch einen extra kenntlich gemachten Abschnitt zu erfolgen und gelte insbesondere dann, wenn dem Bewerber die Schwerbehinderung nicht aufgrund fehlender Gliedmaßen oder das Erfordernis der Benutzung eines Rollstuhls offensichtlich erkennbar ist.
Darlegung gesetzlicher Vorraussetzungen
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist insofern lesenswert, da sie sich noch einmal sehr klar und übersichtlich mit den gesetzlichen Voraussetzungen auseinandersetzt, unter denen ein Entschädigungsanspruch nach dem AGG aufgrund einer behinderungsbedingten Benachteiligung geltend gemacht werden kann. Soweit das Bundesarbeitsgericht hier aber besondere Formvorschriften etablieren möchte, lässt sich dies weder dem Gesetz entnehmen, noch scheint dies zweckdienlich. Vielmehr muss gerade von einem öffentlichen Arbeitgeber erwartet werden, dass er, schon um etwaige Entschädigungsklagen zu vermeiden, die Bewerbungsunterlagen sorgsam studiert. Es ist vor dem Hintergrund des Schutzzweckes des AGG nicht sachdienlich, dem potentiellen Bewerber besondere Obliegenheiten in Bezug auf die Kenntlichmachung seiner Schwerbehinderung aufzuerlegen.
Von Dr. Martin Theben