Vielseitig, ungezwungen und farbenfroh – eine unkonventionelle Bildsprache und grenzenloser Erfindungsreichtum kennzeichnen die Kunst von sogenannten Außenseitern. Dessen Schöpfer sind vorwiegend Menschen, die von der Norm abweichen, ausbrechen, sich in seelischen Ausnahmesituationen befinden oder am Rande der Gesellschaft leben. Einer von ihnen war der Maler Julius Klingebiel (1904-1965).
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde Julius Klingebiel im Alter von 36 Jahren in das Landesverwahrungshaus Göttingen, eine gefängnisartige Heil- und Pflegeanstalt, eingewiesen. Unter dem Einfluss einer „wahnhaften Schizophrenie“ begann der Patient 1951 die Wände seiner Einzelzelle zu bemalen, in der er bis 1963 eingesperrt war. Anfangs mit Kohle und Steinen, später mit Farbe und Pinsel fügte er Portraits von Menschen, Tiere, Häuser, Landschaften, Symbole und Ornamente zu einem flächendeckenden Wandbild zusammen.
Die Malereien zeigen, was den Künstler beschäftigte. Sie dienen als Dokument, das uns einen umfassenden Einblick in das bewegende Leben Julius Klingebiels bietet. Ein vom Förderverein Sozialpsychiatrie Moringen e. V. im Jahr 2010 initiiertes Forschungsprojekt hat die außergewöhnliche Biografie des Künstlers und sein bildnerisches Werk wissenschaftlich aufgearbeitet. Seit 2012 steht die Wandmalerei unter Denkmalschutz. Es ist ein komplexes, in seiner Art weltweit einzigartiges Raumkunstwerk, das der Gattung der sogenannten Außenseiterkunst zuzuschreiben ist.
Da im Gebäude des ehemaligen Landesverwahrungshauses Göttingen heute Patienten des Maßregelvollzugs untergebracht sind, ist die Zelle Julius Klingebiels nicht öffentlich zugänglich. Eine begehbare und als Wanderausstellung konzipierte Rauminstallation macht jedoch die Wandmalereien erlebbar. Die Ausstellung ist vom 16. Oktober bis 21. November 2014 im Kleisthaus, dem Dienstsitz der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Verena Bentele, zu sehen.
Zur Ausstellung im Kleisthaus erscheint ein Katalog. Um blinden und sehbehinderten Menschen den Zugang zum Werk Julius Klingebiels zu ermöglichen, entsteht in Zusammenarbeit mit der Deutschen Hörfilm gemeinnützige GmbH ein Audioguide mit wichtigen Informationen und detaillierten Bildbeschreibungen.
Julius Klingebiel: Zelle Nr. 117. Ausbruch in die Kunst. Öffnungszeiten: Mo–Fr von 10–18 Uhr (Mauerstraße 53, 10117 Berlin). Die Ausstellung ist kostenlos.