Für Menschen mit Behinderung ist es zumeist nicht leicht, in einem anderen Land Berufserfahrung sammeln zu können. Im September 2016 waren gleich sechs gehörlose Auszubildende aus Polen bei der USE gGmbH im Praktikum. Zwei von ihnen schilderten ihre Erlebnisse im Gastland bei einem in vielerlei Hinsicht denkwürdigem Interview.
Von der Gebärdensprache ins Polnische, dann ins Englische und zurück: Ende September berichteten Malgorzata Wojtasik und Jakub Boguś aus Polen von ihrem vierwöchigen Praktikum bei der USE. Dabei machte das Gespräch wortwörtlich die Runde. Die Gesten der beiden, die von Geburt an nahezu gehörlos sind, übersetzte Joanna Btaszczyk. Sie ist Lehrerin sowie Direktorin am Niederschlesischen Bildungszentrum No. 12 in Wroclaw und hat die Praktikanten nach Berlin begleitet. Da Frau Btaszczyk selbst nur wenig Deutsch spricht, brachte sie kurzerhand ihre Tochter mit, die dann auf Englisch dolmetschte.
Deutsch-polnischer Austausch
An ihrer Schule in Wroclaw – hierzulande auch als Breslau bekannt – absolvieren die 19- und der 21-Jährige derzeit eine dreijährige Kochlehre. Daneben bildet das Internat für Gehörlose und Schwerhörige mit angeschlossener Berufsschule auch Tischler und Informatiker aus. Im Rahmen des Programms ERASMUS+ sind im September 2016 aus allen drei Fachrichtungen Praktikanten nach Deutschland entsandt worden. Längerfristig ist auch ein gegenseitiger Austausch geplant. Federführend dabei sind die polnische Organisation Semper Avanti und die Gesellschaft für Europabildung aus Berlin.
Das Programm ermöglicht behinderten Jugendlichen, im europäischen Ausland Berufserfahrung zu sammeln. Dadurch sollen sich nicht zuletzt Ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Allein bei der USE konnten auf diesem Wege sechs Auszubildende ein Praktikum antreten. Vier von ihnen wurden am USE-Standort in Grünau in der Küche sowie der Patisserie eingesetzt, während Malgorzata Wojtasik und Jakub Boguśin in einer Firmenkantine der USE im Wedding beschäftigt waren.
Am liebsten hier bleiben
„Bei der Arbeit verständigten wir uns meist mit Händen und Füßen“, erzählt die Küchenchefin der Koloniestraße, Angelika Nothe, die die zwei jungen Polen im Praktikum angeleitet hat. Die ersten Tage sei noch eine Gebärdensprachdolmetscherin dabei gewesen, aber danach habe es ihr zufolge auch ohne diese Hilfe bestens funktioniert. Überhaupt sei sie von den beiden restlos begeistert. „Die waren total motiviert. Ich musste ihnen etwas nur einmal zeigen und dann hat das geklappt“, strahlt sie.
Für M. Wojtasik und J. Boguś war es das erste Mal, dass sie ein anderes Land besucht haben. Als ihre Schuldirektorin ihnen die Praktika angeboten hat, hätten sie daher sofort zugesagt. Es sei eine großartige Gelegenheit und einmalige Erfahrung gewesen, sind sich beide einig. Auch den Kollegen bei der USE und vor allem Frau Nothe seien sie sehr dankbar. Das gesamte Küchenteam habe sie vom ersten Tag an unglaublich freundlich aufgenommen. Zudem hätten sie sehr viel dazugelernt, was sie zu Hause in ihrer Ausbildung anwenden können.
Wie es für sie nach dem Berufsabschluss im Sommer nächsten Jahres weitergeht, wüssten sie allerdings noch nicht. In Polen sei es nach Aussage der beiden Lehrlinge sehr schwer, mit einer Behinderung eine Anstellung als Koch zu finden. In Deutschland sei das vermutlich einfacher, so M. Wojtasik. Und dann machen beide Gesten, die diesmal nicht ihre Lehrerin übersetzt: „Sie wollen nicht mehr zurück“, weiß Küchenchefin A. Nothe bereits.