Deutschlands Vorreiterregionen im barrierefreien Tourismus engagieren sich dafür, dass auch Menschen mit Behinderung sowie Senioren und Familien mit kleinen Kindern am reichen Kulturangebot der Republik partizipieren können.
Deutschland ist Kulturreiseland. Wertvolle Baudenkmäler, Parks und Gärten sowie Museen und Galerien, Spielstätten und Ensembles von Weltrang bilden ein schier unerschöpfliches Angebot – zumindest aus der Sicht von Menschen ohne Sinnes- oder Mobilitätseinschränkungen. Wer schlecht oder gar nicht sieht oder hört, wer auf einen Rollstuhl angewiesen ist oder mit Kindern im Kinderwagenalter reist, muss sich mit einer deutlich kleineren Auswahl begnügen. Beim Bau mittelalterlicher Burgen, gotischer Kathedralen und barocker Lustschlösser wurde noch nicht an Barrierefreiheit gedacht. Viele Städte und Regionen holen das heute nach – und engagieren sich dafür, das Erbe der Menschheit tatsächlich allen zugänglich zu machen.
Erfurt: Schatztruhe in der Mitte Deutschlands
Die Altstadt Erfurts ist seit dem Mittelalter fast vollständig erhalten geblieben und gilt als größtes Flächendenkmal Deutschlands. Repräsentative Patrizier- und Fachwerkhäuser an schmalen Gassen, beeindruckende Kirchen und Klöster, die älteste bis zum Dach erhaltene Synagoge Mitteleuropas sowie die berühmte Krämerbrücke ergeben ein einzigartiges Flair. Auch Menschen mit eingeschränkter Mobilität können daran teilhaben. Für sie bahnt sich von April bis Dezember der Altstadt-Bus mit Hebebühne und Stadtführer den Weg entlang der wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Für gehörlose Besucher gibt es Stadtführungen sowie Videoguides in Deutscher Gebärdensprache (DGS). Wer den prächtigen Dom Sankt Marien, eines der Wahrzeichen der thüringischen Landeshauptstadt, mit dem Rollstuhl besichtigen möchte, nutzt die Zufahrt am Domberg und gelangt über einen barrierefreien Eingang in das Innere des Gotteshauses. Blinden und sehbehinderten Menschen stehen taktile Informationsmaterialien zur Verfügung und Hörgeschädigten eine induktive Höranlage im Hohen Chor. Eine solche Höranlage gibt es auch im Theater Erfurt. Mit ihr können Aufführungen drahtlos über das Hörgerät empfangen werden. Zudem sind die Eingänge des Großen Hauses ebenerdig und barrierefrei.
Magdeburg: Prächtige Formen und Farben
Die berühmtesten Söhne Magdeburgs trugen beide den Namen Otto: Kaiser Otto der Große begründete im 10. Jahrhundert den Magdeburger Dom, der 1209 nach einem Brand neu errichtet wurde und der älteste gotische Kathedralbau Deutschlands ist. Und Otto von Guericke, Bürgermeister der Stadt im 17. Jahrhundert, machte Magdeburg nicht zuletzt durch den Halbkugelversuch zum Nachweis des Luftdrucks berühmt. Stadtführungen geben auf einem barrierefreien Rundweg Einblicke in den großen Kulturschatz. Der Zugang zum Dom ist bei Voranmeldung über eine mobile Rampe möglich. Im Inneren können blinde und sehbehinderte Menschen Figuren und Gebilde an den Wänden ertasten. Und auf dem Domvorplatz gibt ein Bronzerelief einen Überblick der Otto-Stadt. Auch die romanische Anlage Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen kann seit dem Umbau mit dem Rollstuhl besucht werden. Eines der interessantesten Bauten der Elbestadt ist die Grüne Zitadelle von Magdeburg. Friedensreich Hundertwassers letztes architektonisches Werk präsentiert sich in der charakteristischen farbenfrohen und formenreichen Bauweise. Die Innenhöfe sind mit dem Rollstuhl befahrbar. Gästeführer für Blinde und Gebärdendolmetscher können nach Voranmeldung gebucht werden.
Ruppiner Seenland: Kultur im Schloss
Im Ruppiner Seenland, nördlich von Berlin, findet sich Brandenburgs älteste barocke Schlossanlage: Das Schloss Oranienburg, 1651 errichtet, galt einst als schönste Residenz der preußischen Monarchie. Heute werden hier einzigartige Kunstwerke wie Etageren aus Porzellan, Sitzmöbel aus Elfenbein, königliches Prunksilber, Tapisserien, Skulpturen, Bildhauereien sowie Meisterwerke der flämischen Malerei aufbewahrt. Das Museum ist stufenlos zugänglich. Menschen im Rollstuhl empfiehlt sich eine Begleitperson. Für Besucher mit Sehbehinderung gibt es spezielle Führungen, Tastmöglichkeiten, markierte Wege und geschultes Personal. Barrierefrei zugänglich ist auch das Schloss Rheinsberg. Seine malerische Lage am Grienericksee und der prächtige Bau im Stil des frühen Klassizismus haben schon Kronprinz Friedrich II. (später Friedrich der Große), Theodor Fontane und Kurt Tucholsky fasziniert. Das Erdgeschoss ist über eine Rampe erreichbar und im Innenbereich gibt es einen Personenaufzug. Auch hier ermöglichen spezielle Führungen und Tastmöglichkeiten Menschen mit Sehbehinderung die Teilhabe am preußischen Kulturerbe.
Ostfriesland: Kultur trifft Lebensart
Bauernhäuser aus rotem Backstein, Mühlen und Leuchttürme, romanische Kirchen und alte Wasserburgen: Ostfriesland ist geprägt von charakteristischen Bauten, die eng mit den Traditionen und der Lebensweise der Menschen verknüpft sind. Im Schloss Jever etwa erhält man in einer bedeutenden kulturhistorischen Sammlung Einblick in 600 Jahre Geschichte. Prunkstücke sind der Audienzsaal mit einer geschnitzten Kassettendecke aus der Spätrenaissance und die kostbaren Gobelins des ausgehenden 17. Jahrhunderts. Das historische Gebäude ist über eine Rampe erreichbar. Es gibt Audioguides und spezielle Führungen für Gäste mit Seheinschränkung oder geistiger Behinderung. Auch die Evenburg in Leer ist ein wertvolles Juwel ostfriesischer Geschichte. Um 1650 errichtet, zählt sie zu den frühesten Zeugnissen klassischer deutscher Baukunst. Nach jahrelanger Restaurierung ist die Burg wieder der Öffentlichkeit und nun auch barrierefrei zugänglich. Zeitgenössische Kunst präsentiert die Kunsthalle Emden. Das Angebot des stufenlos erreichbaren Kulturhauses umfasst auch Führungen für Menschen mit Sinneseinschränkung oder mit Lernschwierigkeiten.
Weitere Tipps und Informationen zum barrierefreien Reisen hält die Arbeitsgemeinschaft Barrierefreie Reiseziele in Deutschland unter www.barrierefreie-reiseziele.de bereit.