Kassel (kobinet) Das Bundessozialgericht (BSG) hat am vergangenen Dienstag entschieden, dass auch Menschen mit schwersten Hirnschädigungen, die nicht sehen können, Anspruch auf Blindengeld haben. Anders als bisher entschieden, ist es hierfür nach Informationen des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) nicht mehr erforderlich, dass ihre Beeinträchtigung des Sehvermögens deutlich stärker ausgeprägt ist als die Beeinträchtigung anderer Sinneswahrnehmungen wie zum Beispiel des Hörens oder Tastens.
Wie dbsv-direkt berichtet, erlitt der heute zehnjährige Kläger bei seiner Geburt wegen einer Minderversorgung mit Sauerstoff schwerste Hirnschäden, die unter anderem zu einer schweren mentalen Retardierung mit Intelligenzminderung geführt haben. Seine Wahrnehmungsfähigkeit ist im Bereich aller Sinne stark eingeschränkt. So verfügt der Kläger lediglich über basale visuelle Fähigkeiten, so dass er als gesetzlich blind gilt. Die Mutter des Klägers beantragte 2006 für ihren Sohn Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz. Der Freistaat Bayern lehnte den Antrag ab. Zwar liege beim Kläger eine schwerste Hirnschädigung vor, jedoch sei das Sehvermögen nicht wesentlich stärker beeinträchtigt als die übrigen Sinne. Dies aber sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur so genannten zerebralen Blindheit Voraussetzung für die Gewährung von Blindengeld. Das Landessozialgericht bestätigte diese Entscheidung.
Die obersten deutschen Sozialrichter haben mit dem aktuellen Urteil nun ihre Rechtsprechung aufgegeben und dem Kläger Blindengeld zugesprochen. Sie sehen sich hierzu einerseits aus „prozessualen“ Gründen veranlasst. Vor allem aber beziehen sie sich auf den Aspekt der Gleichbehandlung behinderter Menschen vor dem Gesetz (Grundgesetz Artikel 3). Das BSG kann keinen Grund dafür erkennen, dass zwar derjenige Blindengeld erhalten soll, der „nur“ blind ist, nicht aber derjenige, bei dem zusätzlich eine mindestens ebenso gravierende Schädigung anderer Sinnesorgane vorliegt, heißt es in dbsv-direkt.
„Mit diesem Urteil wird endlich Gerechtigkeit geschaffen. Es ist Schluss damit, dass es blindengeldrechtlich blinde Menschen erster und zweiter Klasse gibt“, erklärt Christiane Möller, Rechtsreferentin des DBSV. „Mit dem Rückenwind des Bundessozialgerichts dürften mehrere laufende Verfahren zu einem guten Ende gebracht und den Betroffenen neue Teilhabemöglichkeiten eröffnet werden. Dass das BSG seine frühere Rechtsprechung aufgegeben hat, war überfällig und ist sehr zu begrüßen.“
Hintergrund Blindengeld: Das Blindengeld ist eine monatliche Unterstützung für blinde Menschen, die pauschal gewährt wird. Der Nachteilsausgleich wird eingesetzt, um Ausgaben zu begleichen, die man aufgrund der Behinderung hat, zum Beispiel um eine Haushaltshilfe zu bezahlen, um Texte in Blindenschrift übertragen oder aufsprechen zu lassen oder um sich Hilfsmittel anzuschaffen. Die Höhe des Blindengeldes ist je nach Bundesland sehr unterschiedlich. Der DBSV setzt sich aktuell dafür ein, im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes ein bundeseinheitliches Blindengeld zu schaffen.
Bundessozialgericht für Ausweitung des Blindengeldes
Deutliche Klarstellung für mehr Rechtsicherheit
von: Berliner Behindertenzeitung