Das Sachleistungsprinzip

Unter dem Blickwinkel des Wunsch- und Wahlrechts.

von: Felix Tautz

xDieser Artikel soll die Reichweite des Wunsch- und Wahlrechts sowie des Sachleistungsprinzips und seine Auswirkungen veranschaulichen.
Mit dem SGB IX hat die Legislative ein Gesetz geschaffen, welches die Belange behinderter Menschen in Bezug auf die relevanten Leistungsgesetze berücksichtigen soll. So ist in § 9 SGB IX den Leistungsberechtigten ein so genanntes Wunsch-und Wahlrecht eingeräumt. Darin ist verankert, dass bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe den „berechtigten Wünschen“ entsprochen wird. Berücksichtigung dabei finden nicht nur die persönliche Lebenssituation, sondern auch beispielsweise Alter oder Geschlecht. Jedoch nicht nur im SGB IX, sondern auch in den jeweiligen Leistungsgesetzen (beispielsweise § 2 Abs. 2 SGB XI oder § 2 a SGB V) wird dem Wunsch- und Wahlrecht Rechnung getragen. Doch wie weit geht dieses Recht? Hier verweist der Gesetzgeber auf unbestimmte Rechtsbegriffe, wie „berechtigt“ und „angemessen“.
Nun was bedeutet das? Angemessenheit beschreibt die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne und ist dann gegeben, wenn die Nachteile, sprich die Kosten für den Leistungsträger, zu den Vorteilen, sprich der Wirksamkeit der Leistung, nicht völlig unverhältnismäßig sind. „Berechtigt“ ist ein Wunsch dann, wenn der im gesetzlichen Leistungsrahmen liegt. Dieser Leistungsrahmen definiert sich – ganz unabhängig, welche Leistung erbracht wird – immer über die Wirksamkeit und die Wirtschaftlichkeit. Hat man nun ähnlich wirksame bzw. wirtschaftliche Möglichkeiten, um den Anspruch zu erfüllen, wird es sich im Streitfall darum drehen, welche Leistung nun wirksam und wirtschaftlich ist. Und eben an jenem Wirtschaftlichkeitsgebot, welches jeder Sozialleistungsträger beachten muss, findet das Wunsch- und Wahlrecht seine Grenzen und ist letztlich eine Frage des Einzelfalls.

 
Die Auffassung des Bundessozialgerichtes

Eine Begrenzung dieses Rechts kann sich allerdings auch aus dem Leistungserbringungsrecht ergeben, d.h. dass bestimmte Leistungen (beispielsweise Grundpflege) lediglich bei Bestehen von Versorgungsverträgen zwischen den Leistungsträgern (beispielsweise Pflegekasse) und Leistungserbringern (Pflegedienst) erbracht werden dürfen. Das Bundessozialgericht vertritt die Auffassung, dass durch das Leistungserbringungsrecht der leistungsrechtliche Anspruchsrahmen in materieller und formeller Hinsicht abgesteckt wird; außerhalb dieses Rahmens hat der Versicherte grundsätzlich keine Leistungsansprüche.
Das Leistungserbringungsrecht, welches – wie beschrieben – das Wunsch- und Wahlrecht begrenzt, ist geprägt von dem so genannten Sachleistungsprinzip. Dieses Prinzip besagt, dass die festgeschriebenen Leistungen nicht als Geldleistung, sondern als Sach- und Dienstleistung erbracht werden und ist insbesondere für die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen aber auch die gesetzliche Unfallversicherung maßgebend. Durch den Abschluss von Versorgungsverträgen mit Pflegeeinrichtungen und ambulanten Pflegediensten, soll unter anderem die Qualität der Pflege sichergestellt werden.

 
Fachkräftemangel bei der Pflege

Gemessen an dem allseits herrschenden Mangel an Fachkräften in den Pflegeberufen, kann eine bedarfsgerechte Pflege allerdings nur noch selten sichergestellt werden. Der allgemeine Pflegebedarf in Deutschland ist mittlerweile so hoch, dass überwiegend Pflegehilfskräfte eingesetzt werden (müssen), die oftmals schlecht bezahlt und – unter anderem dadurch – wenig motiviert sind. Hinzu kommt, dass die personellen Kapazitäten der Pflegedienste regelmäßig erschöpft sind. Es ist demnach zwangsläufig so, dass eine bedarfsgerechte Pflege sowie eine individuelle zeitliche Einteilung nicht gewährleistet werden kann. Das Sachleistungsprinzip verhindert, dass der Pflegebedürftige sein Wunsch- und Wahlrecht dahingehend ausüben kann, sich die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel für die Pflegesachleistung im Rahmen des persönlichen Budgets auszahlen zu lassen und so selbstbestimmt seine Pflege selbst zu organisieren. Das eröffnet dem Betroffenen die Möglichkeit, sich das sehr viel geringere Pflegegeld auszahlen zu lassen und den übrigen pflegerischen Bedarf durch die (ergänzende) Hilfe zur Pflege (§ 61 SGB XII) über den Sozialhilfeträger sicherstellen. Das hat den Effekt, dass der behinderte, pflegebedürftige Mensch dazu gebracht wird, seine Ambitionen, sich durch eine Erwerbstätigkeit auf wirtschaftlich eigene Beine zu stellen, zu Gunsten einer individuellen, bedarfsgerechten Pflege zu opfern. Denn die (budgetfähige) Hilfe zur Pflege ist eine Sozialleistung, die dann erbracht wird, wenn der Betroffene nicht mehr genügend eigene finanzielle Mittel zur Verfügung hat, um seinen Bedarf zu decken. Ein berufstätiger, behinderter Mensch hat somit regelmäßig aufgrund seiner besseren finanziellen Konstitution gar nicht die Möglichkeit, sein Pflegebedarf individuell zu gestalten, da dieser auf Pflegeeinrichtungen zurückgreifen muss. Meiner Ansicht nach stellt dieser Zustand nicht nur eine Benachteiligung derjenigen dar, die die Möglichkeit haben und willens sind eine Erwerbstätigkeit zu ergreifen. Es führt auch dazu, dass der Pflegebedarf durch Steuereinnahmen der Allgemeinheit sichergestellt werden muss und nicht, wie es ursprünglich angelegt ist, von den Beiträgen der Kassenmitglieder.
Die aufgezeigten Konsequenzen können meiner Ansicht nach vom Gesetzgeber so nicht gewollt sein, so dass der Geltungsbereich des Sachleistungsprinzips eingeschränkt und das Wunsch- und Wahlrecht des Betroffenen gestärkt werden sollte. Nur dadurch ist eine umfassende und selbstbestimmte Teilhabe möglich.

 
Über den Autor: Felix Tautz ist Rechtsanwalt in Potsdam. Aufgrund einer eigenen Querschnittlähmung ist Felix Tautz zudem Fachmann aus eigener Erfahrung. Seine Kontaktdaten sind: Email: info@kanzlei-tautz.de, Internet: www.kanzlei-tautz.de.

 

 

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