Asperger-Autismus und gleichzeitig ADHS? Das klingt ungewöhnlich, ist aber gar nicht sooo selten. Wie der Alltag der Betroffenen sich damit gestaltet? Es gibt keinen Alltag. Das zumindest sagt Denise Linke auf der ersten Seite ihres Buchs „Nicht normal, aber das richtig gut“.
Der Einstieg in ihre Geschichte ist grandios, darum hier gleich ein längeres Zitat: „Am meisten von allen Dingen, die mich retten, hilft wahrscheinlich, dass ich keinen Alltag habe. Und am meisten von allen Dingen, die bei mir regelmäßig für Panikattacken sorgen, quält mich wahrscheinlich, dass ich keinen Alltag habe. Alltag, das klingt einengend und klein und schnürt mir die Kehle zu. Keinen Alltag zu haben, fühlt sich dagegen an wie ein freier Fall. An guten Tagen genieße ich, wie alles in rasender Geschwindigkeit an mir vorüberzieht, die Welt sieht dann aus wie mit Wasserfarben hingetupft. Ständig neue Reize, dauernd lachen, Bewegung immerzu.
Dann ist mein ganzer Tag eine Tanzszene aus einem Baz-Luhrmann-Film. Es gibt keine freie Sekunde, um nachzudenken. Um in Ruhe irgendwo zu sitzen und zu spüren, wie meine Gedanken im Kreis geschleudert werden, so schnell, dass die Zentrifugalkraft sie gegen meine Stirn presst und ich Kopfschmerzen bekomme. Je schneller und lauter das Leben, desto leiser sind die an mir nagenden und die mich lähmen-den Erinnerungen, die mich lähmenden Ängste … Mein Aufmerksamkeitsdefizit und meine Hyperaktivität, kurz: mein ADHS, machen es mir unmöglich, in den Stand-by-Modus zu gehen. Ich sende und empfange immer – egal, ob es erforderlich ist oder nicht… Mein Autismus macht es jedoch unumgänglich, Ruhezeiten einzulegen, um die leergesaugten Batterien wieder aufzu- laden. Ein ewiges Hin und Her.“
Dieser wunderbare Stil zieht sich zwar nicht durch das ganze Buch, blitzt aber immer wieder durch in diesem kurzweilig geschriebenen Selbstporträt der 26-jährigen Wahlberlinerin, die in Berlin und Potsdam Politikwissenschaften und Zeitgeschichte studiert hat. Sie gibt seit 2014 die „N#mmer“ heraus, ein „Magazin für Autisten, AD(H)Sler und Astronauten“, wobei mit Astronauten „neurotypische Menschen“ gemeint sind, die Denise Linke auf „ihren Plane- ten“ einlädt. Mit dem Ziel, Aufklärungsarbeit zu leisten, um die Mythen zu vertreiben, die um die Begriffe Autismus und ADHS in den Köpfen der Menschen kreisen …
Dieser Mission dient auch ihr Buch, ebenso wie inzwischen etliche Medienauftritte, die sie mit Bravour meistert. Dabei verheimlicht sie keinesfalls, wie schwer es ihr als Autistin fällt, neue Menschen kennenzulernen, sich auf sie einzulassen, zu verstehen, wie sie mit ihnen umgehen muss und was sie von sich preisgeben kann. Aber da ist halt auch die quirlige ADHSlerin, die sich spontan ins pralle Leben stürzt, kopfüber in abenteuerlichste Aktionen springt.
Ihr Buch ist ein Aufruf an die Gesellschaft, die Talente und Fähigkeiten eines jeden einzelnen Menschen zu erkennen und wertzuschätzen, Klischees und Stereotype zu überwinden, genauer hinzuschauen und den Menschen hinter der diagnostischen Zuschreibung zu sehen. BerlinVerlag, 208 Seiten, 20 Euro,
ISBN: 978-3-8270-1278-4
Erschienen in DER PARITÄTISCHE, Ausgabe 1/16.