Das linke Bündnis steht und SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben nunmehr einen Koalitionsvertrag für die Jahre 2016 bis 2021 vorgelegt. R2G – das Kürzel steht dabei für zweimal Rot und ein Mal Grün – macht Hoffnung. Bei diesem Koalitionsvertrag muss man eben nicht erst auf Spurensuche nach behindertenpolitischen Themen gehen. Das Gegenteil ist der Fall. Viele Passagen betreffen explizit behindertenpolitische Themen. Aus Sicht der Berliner Behindertenbewegung ist es ein wirklich gelungener Arbeitsauftrag für die Koalition geworden. Darüber hinaus enthält der Vertrag viele Punkte, die der Berliner Behindertenverband oder die Parität – Landesverband Berlin e. V. in ihren Positionspapieren sich erhofften. Einen Teil der wichtigsten Inhalte geben wir hier auszugsweise wider.
Bereich: Rechtliche Rahmenbedingungen verbessern
Hierzu der Koalitionsvertrag: „Sie … (Anm. der Redaktion: gemeint ist die Koalition) … entwickelt das Landesgleichberechtigungsgesetz weiter und setzt die Ergebnisse des Normenkontrollverfahrens zur UN-Behindertenrechtskonvention um“.
Bereich: Behindertenpolitische Leitlinien
Im Koalitionsvertrag wird folgende Vorgehensweise beschrieben: „Die inklusive Gesellschaft ist die Leitidee der Politik der Koalition. Die Koalition legt zur Umsetzung der Behindertenpolitischen Leitlinien ein ressortübergreifendes Konzept in Koordinierung mit dem Beauftragten für Menschen mit Behinderung, dem Landesbehindertenbeirat und den Arbeitsgruppen »Menschen mit Behinderung« vor. Sie entwickelt das Landesgleichberechtigungsgesetz weiter und setzt die Ergebnisse des Normenkontrollverfahrens zur UN-Behindertenrechtskonvention um“.
Bereich: Arbeit
Auch hier haben sich die Koalitionäre einiges vorgenommen: „Die Koalition führt das Budget für Arbeit ein, um Menschen mit Behinderung den Wechsel von einer Werkstatt für Behinderte in einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz im ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern. Integrationsbetriebe und Integrationsfachdienste sollen stärker gefördert werden“.
Ferner: „Die Koalition stellt sicher, dass Frauen mit Behinderung und Frauen, die von möglicher Mehrfachdiskriminierung betroffen sind, der Zugang zum Arbeitsmarkt, zur Ausbildung und Weiterbildung mit geeigneten Maßnahmen und Förderprogrammen adäquat ermöglicht wird“.
Bereich: Inklusive Schule
Hierzu steht unter anderem im Vertrag: „Inklusion bedeutet für die Koalition die Umsetzung einer Pädagogik, die jedes Kind in seiner Individualität wertschätzt, seine Stärken erkennt, sie fördert und Vielfalt als Chance für erfolgreiches Lernen nutzt. Als Übergangssystem zum inklusiven Schulsystem werden 36 Schulen bis zum Schuljahr 2020/21 die Möglichkeit erhalten, sich als inklusive Schwerpunktschulen zu profilieren. Der Fachbeirat »Inklusion« wird wieder eingerichtet. Um Barrierefreiheit an den Schulen herzustellen, muss der entsprechende Investitionsansatz erhöht werden. Außerdem müssen die Schulen notwendige zusätzliche Ressourcen erhalten, damit alle Schüler die ihnen zustehende Förderung bekommen. Die Koalition verfolgt das Ziel, die notwendigen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Haushaltsvorbehalt nach § 37 Abs. 3 des Schulgesetzes entfällt“.
Bereich: Bezahlbarer und barrierefreier Wohnraum
Hierzu der Koalitionsvertrag: „Die Koalition will die Berliner Bauordnung nochmals novellieren. Mit dem Ziel, mehr Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden und im Wohnungsbau umzusetzen. Die Koalition sieht in der sozialen Wohnraumversorgung, in der Bekämpfung von Wohnungslosigkeit und sozialer Ausgrenzung eine Schlüsselaufgabe. Die Koalition wird Wohnungsangebote für Menschen, die sich ohne fremde Hilfe nicht versorgen können, ausbauen. Die Bereitstellung von Wohnraum für besondere Bedarfsgruppen wird in die Wohnraumförderung integriert. Die Koalition wird spezielle Beratungsangebote schaffen, um Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt auszuschließen. Die Koalition will dazu jährlich mindestens 6.000 Wohnungen mit den sechs landeseigenen Gesellschaften in Berlin bauen. Dabei liegt das Augenmerk besonders auf Wohnraum für Familien und Personengruppen, die einen besonderen Bedarf an bezahlbaren, kleinen, altersgerechten oder barrierefreien Wohnungen haben sowie betreuten Wohnformen. Durch effiziente Grundrisse sollen Wohnflächenverbrauch und Kosten gesenkt werden“.
Bereich: Barrierefreie Mobilität
Hierzu steht unter anderem im Vertrag: „Die Koalition wird ein Sofortprogramm zur Erhöhung der Barrierefreiheit im Straßenraum und zur Gehwegsanierung ins Leben rufen. Der barrierefreie Ausbau des U- und S-Bahnnetzes soll bis 2020 erfolgen, barrierefreie Straßenbahnhaltestellen werden bis 2022 angestrebt. Für den schrittweisen barrierefreien Ausbau der Bushaltestellen, der im Regelfall mit Kasseler Borden und problemlos anfahrbaren Buskaps erfolgen soll, werden zusätzliche Finanzmittel bereitgestellt. In Zusammenarbeit mit dem Fahrgastbeirat wird die Koalition ein Gesamtkonzept für die Mobilitätssicherung von Menschen mit Behinderung erarbeiten, mit dem Ziel, die Verkehrsmittel besser miteinander zu verzahnen. Das Konzept soll u. a. auch konkrete Maßnahmen zur Einführung sprechender Busse und Bahnen sowie zum Erhalt und der qualitativen Entwicklung des Sonderfahrdienstes enthalten.
Der VBB-Begleitservice wird weitergeführt. Die Eigenbeteiligung der Nutzer des Sonderfahrdienstes wird auf Sozialverträglichkeit überprüft“.
Ferner: „Die Koalition erarbeitet zusammen mit dem Fahrgastbeirat ein Gesamtkonzept zur Mobilitätssicherung von Menschen mit Behinderungen. Sie trägt dazu bei, das Inklusionstaxi schnell zu etablieren. Die Koalition startet eine Bundesratsinitiative zur Festlegung dieser Quote (Anm. der Redaktion: Eine Quote von 10 % ist gemeint) im Personenbeförderungsgesetz“.
Bereich: Investitionen
Investitionen werden an mehreren Stellen im Vertrag in Aussicht gestellt, so wie diese beispielsweise: „Durch Investitionshilfen werden die Voraussetzungen geschaffen, dass eine ausreichende Zahl (rund 10%) barrierefreier und multifunktionaler Taxen (Inklusionstaxi) sichergestellt, und die Eigenbeteiligung an den Fahrtkosten innerhalb des Taxikontos an das Niveau des Sonderfahrdienstes angepasst werden“.
Bereich: Barrierefreie City-Toiletten
Statt weniger soll es mehr barrierefreie Toiletten geben. Prima, dies sieht zumindest der Koalitionsvertrag vor: „Die Koalition setzt sich für mehr Barrierefreiheit im öffentlichen Raum ein. Dazu gehört auch die Erweiterung des Angebots an barrierefreien, öffentlich zugänglichen Toiletten.“
Fazit: Der Koalitionsvertrag ist in Anbetracht der (finanziellen) Lage der Stadt ein echter Fortschritt. Er ist Grundlage für ein ehrgeiziges Programm und vor allem ein Fahrplan für eine sozialere Stadt. Der Vertrag spiegelt den genannten r2g-Anspruch: „Die inklusive Gesellschaft ist die Leitidee der Politik der Koalition“, aufrichtig wider. Viele behindertenpolitische Baustellen sollen angegangen und Entwicklungen vorangetrieben werden. Zudem sollen sogar zusätzliche Finanzmittel bereitgestellt werden. Dieser r2g-Vertrag trägt eine deutliche Handschrift. Gegensätzlicher als zum alten Koalitionsvertrag von SPD und CDU hätte der neue Vertrag gar nicht sein können. Und dies ist aus behindertenpolitischer Sicht auch gut so.
Eines sollte den politisch Verantwortlichen klar sein: Wird diese Koalition ihrem eigenen Anspruch in den kommenden Monaten gerecht, kann dies eine Steilvorlage für die anstehenden Landtagswahlen (Saarland, NRW und Schleswig-Holstein) und schlussendlich für die Bundestagswahl im Herbst 2017 sein. Das linke Bündnis kann aufzeigen, wie eine Alternative zur Großen Koalition auf Bundesebene aussehen könnte. Es bleibt spannend, in Berlin und im Bund.