Heutzutage schüttet sich – wer ein guter Mensch sein will – einen Eimer Eiswasser über den Kopf. Das wird gefilmt und – völlig uneigennützig – der Weltöffentlichkeit mitgeteilt. Ob die das wissen will oder nicht. Und man verpflichtet sich, eine Spende für die ALS-Forschung zu überweisen. Wie edel.
Wer da kneift, muß ein Schurke sein. Zumindest ein herzloser Egoist. Und – weil der Spaß doch im Vordergrund steht – ein humorloser Spielverderber. Denn: Was kann löblicher sein, als Menschen Hoffnung zu geben, die an Amyodropher Lateralsklerose (ALS) erkranken?
Ich bekenne, daß mir diese Art von Event-Werbung suspekt ist. Warum gerade ALS? Es gibt hunderte andere (mehr oder weniger seltene) Erkrankungen, die sich niemand wünscht. Viele davon haben ähnlich ungünstige Verläufe. Wäre die Erforschung dieser speziellen Erscheinungsform von Sklerose d a s medizinische Problem unserer Zeit, wäre es Aufgabe des Staates, dorthin die erforderlichen Ressourcen zu lenken. So aber ist es nichts anderes als eine Form von „ursprünglicher Akkumulation“ von Kapital. Mikroskopisch kleine Forschergruppen finanzieren sich davon. Sollte deren – solidarisch finanzierte – Arbeit tatsächlich brauchbare Ergebnisse zeitigen, würden diese jedoch unverzüglich patentiert. Und ein vermutlich nicht ganz so kleines Pharma-Unternehmen würde neue Pillen produzieren. Für potentielle Patienten, die nicht reich genug sind, blieben sie auf Jahrzehnte unerschwinglich. Also selbst der Hoffnungsschimmer für aktuell Erkrankte verblaßt. Aber die Profite sprudeln in private Kanäle.
Es ist wenig sinnvoll – und überhaupt nicht solidarisch –, einer einzigen Krankheit und/oder anderen Beeinträchtigung so einen PR-Hype zuzumuten. Erst recht nicht, wenn das unter rein medizinischen Gesichtspunkten – die eine Heil(ungs)verheißung transportieren – geschieht. Viel wichtiger – und sogar weitaus wirkungsvoller – erscheint mir, die lähmende Angst vor Alterserscheinungen und/oder lebenslangem Umgehen mit untypischen, abweichenden, einschränkenden, beeinträchtigenden und/oder anderweitig „unnormalen“ Biographien abzubauen. Also: Das Leben m i t der Krankheit/Behinderung positiv zu gestalten. Die jeweiligen F ä h i g k e i t e n zu stärken, nicht die Defizite zu bejammern. Sich an der V i e l f a l t zu erfreuen, nicht der Uniformität des Durchschnitts zu frönen.
Wenn dann a u c h medizinischer Fortschritt dazu beitrüge, bestimmte unangenehme Begleiterscheinungen – z.B. große Schmerzen, Verlust der Selbstkontrolle, Inkontinenz, Einschränkungen der Kommunikationsfähigkeit usw. – zu lindern, wäre das gut. Aber die Ermöglichung der freien Persönlichkeitsentfaltung auch m i t den „Defiziten“ ist ein wesentlich umfassenderes Konzept als bloße, punktuelle Forschungsförderung zur „Reparatur“ von Defiziten.
Inzwischen deucht mich, daß selbst dieser Rest von humanitärer Bemäntelung eines Bespaßungs-Gags immer stärker dahinschwindet. Was bleibt, sind Stars, Sternchen und andere Wichtigtuer, die sich in Video-Clips zeigen. Daß sie dann auch meist noch drei andere Leute auffordern, es ihnen gleichzutun, hat den Charme eines „Schneeball-Geschäfts“. Solcherart Transaktionen gelten als so „windig“, daß sie sogar an der Börse verboten sind. . .