Am 19. Januar 1988 – und damit exakt ein Jahr nach dessen Gründung – versammelten sich Mitglieder des Spontanzusammenschlusses „Mobilität für Behinderte“ im Foyer des Dienstgebäudes der Senatsbauverwaltung in der Württembergischen Straße 6, um einen Forderungskatalog zur „Behebung des Mangels an geeignetem Wohnraum für alte Menschen, für Gehbehinderte, für Kreislaufgeschädigte, für Rollstuhlfahrer(innen) etc.“ zu übergeben. Der Spontanzusammenschluss widmete sich mit dieser Aktion nach Bewältigung der ersten „Telebuskrise“ einem weiteren wichtigen Thema für Menschen mit Behinderungen. Dabei ging es konkret nicht nur um die Schaffung von behindertengerechtem Wohnraum, die Betroffenen forderten auch den Zugang zu behindertengerechten Kulturstätten, wie Kinos, Theatern und Opernhäusern. Politik und Verwaltung waren aufgrund der massiven und zahlreichen öffentlich-wirksamen Proteste des Jahres 1987 gegen die Kürzungen beim Telebusfahrdienst derart sensibilisiert, dass sie den Betroffenen ein Gespräch anboten. Über den Verlauf und das Ergebnis dieses Gespräches wurde ein auf den 20. Januar 1988 datierter Vermerk (Az. VI B 1, das Originaldokument liegt dem Autor vor und wurde ihm dankenswerter Weise von Ursula Lehmann zur Verfügung gestellt) erstellt und den Betroffenen übergeben. Laut dieses Vermerkes forderten die Betroffenen unter anderem die Zugänglichkeit öffentlich-geförderter Neubauwohnungen, ein Mindestanteil von Rollstuhlbenutzerwohnungen von 20 % bei Neubausozialwohnungen, dem Umbau von Altbauwohnungen, die Ausrüstung größerer Speiselokale, Kaufhäuser und anderer öffentlicher Einrichtungen mit behindertengerechten WCs und Aufzügen und vor allem das Hinzuziehen von Behindertenvertretern bei Planung, Bau und Abnahme von Behindertenwohnungen und deren Einrichtungen.
Diese Diskussion war der Auftakt einer Reihe von Gesprächen, aber auch weiteren Aktionen, um auf die Unzulänglichkeiten einer an Barrieren reichen Umwelt aufmerksam zu machen. So bauten Mitglieder des Spontanzusammenschlusses im Laufe des Jahres 1988 etwa an der Gedächtniskirche oder am Ufa-Filmpalast am Kurfürstendamm in Eigenregie eine Rampe; letztere wurde dann durch Mitarbeiter des Bauamtes Charlottenburg zunächst wieder abgerissen.
Geschichte wiederholt sich
Die Forderungen des Jahres 1988 sind aktueller denn je. Auch heute wird das Fehlen bezahlbarer behindertengerechter Wohnungen beklagt – und nun soll nach einem Referentenentwurf der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt § 51 BauO Berlin neu gefasst werden. Auf die entsprechenden Folgen hat der Kollege Rechtsanwalt Felix Tautz sehr eindrucksvoll in der letzten Ausgabe der Berliner Behindertenzeitung hingewiesen. Ergänzend anzumerken ist hier, dass die Regelungen in den Absätzen 3 – 5 des § 51 Bauordnung Berlin vollständig gestrichen werden sollen. In den Absätzen 4 und 5 ist jedoch bisher geregelt, ob und unter welchen Voraussetzungen Ausnahmen vom barrierefreien Bauen gemacht werden können. Gerade hieran knüpfte dann das außerordentliche Klagerecht des Landesgleichberechtigungsgesetzes. Wenn es nunmehr zu einer Streichung kommt, ist zu befürchten, dass es Behindertenverbänden nicht mehr möglich ist, Verstöße gegen barrierefreies Bauen anzumahnen. Das fast zur Bedeutungslosigkeit verkommene Verbandsklagerecht verliert dann seine Wirkung.
LGBG muss effektiver werden
Gerade an dieser Stelle zeigt sich also der dringende Novellierungsbedarf auch beim LGBG. Dessen Verabschiedung jährte sich in diesem Jahr zum 15. Mal. Anlässlich dieses Jubiläums veranstaltete die UN-Monitoringstelle am 21. Mai 2014 eine Veranstaltung. Dort wurde das Ergebnis der Normenprüfung des Landesgleichberechtigungsgesetzes vorgestellt. Die UN-Monitoringstelle hatte vom Senat den Auftrag erhalten, unter anderem die Vorschriften des LGBG an die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention anzupassen. Der entsprechende Entwurf bietet eine sehr gute Diskussionsgrundlage. Besonders zu begrüßen ist die Verankerung eines § 4 b. Nach dieser Vorschrift werden die von Artikel 4 Abs. 3 UN-Behindertenrechtskonvention geforderten umfassenden Beteiligungsrechte von Menschen mit Behinderungen nunmehr auch im Landesgleichberechtigungsgesetz verankert.
Eine deutliche Schwäche bietet der Vorschlag der UN-Monitoringstelle allerdings dort, wo es um die verbindliche Durchsetzung von Rechten geht. Deutlich wird dies unter anderem am Beispiel des § 2 Abs. 2 LGBG, der in seinem Kern auch durch den Entwurf der UN-Monitoringstelle nicht verändert wird. Nach dieser Vorschrift wirken der Gesetzgeber und der Senat darauf hin, dass Menschen mit Behinderungen die Entfaltung ihrer Persönlichkeit, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, die Teilnahme am Erwerbsleben und die selbstbestimmte Lebensführung ermöglicht werden. Diese Formulierung hat den Charakter einer Staatszielbestimmung und lässt sich konkret rechtlich nicht einklagen. Sie geht dann auch zurück auf die seinerzeitige Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses vom 30. April 1999. Die betroffenen Verbände hatten jedoch seinerzeit eine deutlich verbindlichere Formulierung gefunden, hinter die sich auch der Ausschuss für Gesundheit, Soziales und Migration in seiner Beschlussempfehlung vom 4. März 1999 gestellt hatte. Nach dieser Formulierung im damaligen § 2 Abs. 3 haben behinderte Menschen Anspruch darauf, dass der Gesetzgeber und der Senat darauf hinwirken, dass diskriminierende Maßnahmen und Vorschriften beseitigt werden.
Auch das vom damaligen Haushaltsausschuss entschärfte Verbandsklagerecht war nach der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit, Soziales und Migration deutlich verbindlicher gefasst: Danach hätten Behindertenverbände ein Klagerecht dann gehabt, wenn sie geltend machen, dass durch eine Maßnahme oder ein Unterlassen der öffentlichen Verwaltung einer landesunmittelbaren Körperschaft, eine Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts unter anderem Vorschriften der Bauordnung verletzt worden seien. Es ging also um eine generelle Verletzung und nicht nur um die rechtswidrige Gewährung von Ausnahmen.
Die Diskussion um die Anpassung des LGBG an die UN-Behindertenrechtskonvention, aber auch der Protest gegen die Veränderung der Berliner Bauordnung bieten Anlass, sich für verbindliche Regelungen zur Durchsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen einzusetzen. Vor diesem Hintergrund kann man sich den leidenschaftlichen Appell von Bärbel Reichelt, einem Gründungsmitglied des Spontanzusammenschlusses „Mobilität für Behinderte“ und ehemalige Vorsitzende des Berliner Behindertenverbandes im aktuellen Infobrief der Spontis nur anschließen. Bärbel Reichelt fordert zu Recht eine Wiederbelebung der Protestkultur der Betroffenen. Es gilt, die Klinge zu schärfen.