In dem holländischen Dorf De Hogeweyk ist vieles normal, was andernorts irritiertes Aufsehen erregen würde: Wenn dort ein älterer Herr im Morgenmantel und in Hausschuhen spazieren geht, wenn er laut schimpfend im Café sitzt, wenn er stundenlang in sich versunken auf einer Parkbank hockt oder wenn er den Supermarkt mit zehn Paketen Milch verlässt. In De Hogeweyk ist vieles normal, was sich in den Augen der Allgemeinheit längst jenseits der Normalität befindet. Die rund 150 Bewohner des Dorfes, demenzkranke Menschen, leben, so liest man oft über demenzkranke Menschen, im Hier und Jetzt; ihre Vergangenheit hätten sie weitgehend vergessen, ihre Zukunft sei für sie nicht mehr fassbar. Dieser Verlust bleibe den Betroffenen aber offenbar noch lange bewusst, so dass sie mit Rückzug, mit Depressionen oder auch mit Wut darauf reagieren, einer Wut, die für die Angehörigen oft schwer verständlich ist.
Pläne für ein solches Dorf im rheinhessischen Alzey
Das holländische De Hogeweyk will ein Ort sein, der diesen Menschen das Gefühl gibt, am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können, den Alltag mit möglichst wenigen Einschränkungen gestalten zu können, der vor allem aber erreichbar ist, wenn die Pflege zu Hause nicht mehr gewährleistet werden kann. Nach diesem Vorbild soll jetzt im rheinhessischen Alzey ein ähnliches Dorf entstehen. Aussehen soll es wie andere Dörfer, geplant sind Wege, Straßen, Plätze, Geschäfte, in denen ähnliche Waren wie andernorts angeboten werden. Bezahlt werden soll aber mit einer eigenen Währung, denn die zukünftigen Einwohner von Alzey werden wohl vergessen haben, wie die Euro-Münzen und Euro-Scheine aussehen. Und auch wenn mal jemand vergessen sollte zu bezahlen, wird sie oder er den Laden trotzdem verlassen können.
Der Initiator
Für ein solches „Demenzdorf“ gäbe es sofort Interessenten, zudem würde es auch als Vorbild für andere Regionen wirken, davon ist Herr Jan Bennewitz überzeugt, Betriebswirt, gelernter Krankenpfleger und Initiator dieses Projektes. Seit über einem Jahr wirbt er für dieses Projekt, für das sein Beratungsbüro als Träger fungieren würde. „Wir nehmen den Menschen ein Stück weit die Angst, ihr gewohntes Leben aufzugeben“, so formuliert er sein Ziel.
Planungen für die Alltagsorganisation
In Alzey soll den Bewohnern so viel Normalität wie möglich geboten werden. In den in ein- oder zweigeschossigen Häusern untergebrachten Wohngruppen sollen maximal zehn Bewohner mit jeweils zwei Pflegerinnen oder Pflegern leben. Pro Zehner-Wohngruppe soll es drei Bäder und eine Küche geben. Das Umfeld dieser Wohngruppen soll nach Lebensstilen differenziert sein wie „städtisch“, „handwerklich“, „gehoben“ oder „kulturell“. Für Menschen mit einer Demenzerkrankung soll es viele Vorteile bieten, das Leben in diesem Dorf: So sollen für die Bewohner überall Mitarbeiter ansprechbar sein, soll das Dorf auch von außen nach innen für Öffentlichkeit geöffnet werden. Zum Friseur oder ins Café könnten auch Nachbarinnen bzw. Nachbarn aus den umliegenden Dörfern kommen. Wenn sie wollen, sollen die Bewohner bei Alltagsarbeiten wie Kochen, Wäschepflege, Gartenarbeit oder anderem mitmachen können nach dem Motto „Alltag als Therapie“.
Die Pflege
Die Pflege in diesem besonderen Dorf soll von ambulanten Diensten, Pflegediensten und Ähnlichem geleistet werden. Neben examinierten Kräften für die medizinische Pflege werden angelernte Kräfte eingesetzt, die die alltägliche Betreuung in den Wohngruppen leisten. Nachts wird die Überwachung durch ein System ähnlich dem „Babyfon“ unterstützt. Geplant ist ein Betreuungsschlüssel von 1,2 Kräften je Zehnergruppe. Dies sei im Vergleich zu stationären Einrichtungen sehr gut. Alles in allem soll ein Platz in diesem Dorf für demenzkranke Menschen aber finanziell günstiger sein, als der klassische Heimplatz, so die bisherige Planung.
Damit sich die Bewohner nicht verlaufen können, sind die Häuser so angelegt, dass sie eine Art Mauer nach außen bilden, sollen der Ein- und der Ausgang rund um die Uhr bewacht werden. Ja, auch das gehört zu diesem Projekt, zum Plan für dieses ganz besondere Dorf ausschließlich für Demenzkranke. So viele Möglichkeiten der Alltag in Alzey für die Bewohner schließlich bieten wird, enden wird die Freiheit der Bewohner aber jedes Mal, wenn sie Alzey verlassen wollen.
Von Rainer Sanner