Dominik Peter sprach mit Ulrike Pohl über das Bundesteilhabegesetz. Gegen den Gesetzentwurf wird seit Monaten in der ganzen Republik durch Protestaktionen auf drohende Verschlechterungen aufmerksam gemacht.
BBZ: Ulrike, du hast Dich intensiv mit dem am 28. Juni 2016 vom Kabinett verabschiedeten Entwurfdes Bundesteilhabegesetzes (BTHG) beschäftigt. Wie ist Deine Einschätzung zu diesem Gesetz?
Ulrike Pohl: Das Bundes-Teilhabe-Gesetz heißt ja in voller Länge ausgesprochen: Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen. Schon im Koalitionsvertrag der Bundesregierung aus dem Jahr 2013 steht: „Wir werden ein Bundesleistungsgesetz für Menschen mit Behinderung (Bundesteilhabegesetz) erarbeiten. Mit Inkrafttreten dieses Gesetzes wird der Bund zu einer Entlastung der Kommunen bei der Eingliederungshilfe beitragen. Dabei werden wir die Neuorganisation der Ausgestaltung der Teilhabe zugunsten der Menschen mit Behinderung so regeln, dass keine neue Ausgabendynamik entsteht.“ Ich frage mich, wie kann ich mit einem Gesetz Teilhabe stärken, wenn ich von vornherein festlege, dass es nichts kosten soll?
BBZ: Wo siehst Du konkrete Gefahren der Verschlechterung der Situation für Menschen mit Behinderungen?
Ulrike Pohl: Ein Kritikpunkt, der in fast jeder Stellungnahme zum BTHG auftaucht, ist in §91 zu finden: Nachrang der Eingliederungshilfe. Das bedeutet, dass Pflegeleistungen nicht wie bisher neben Leistungen der Eingliederungshilfe gewährt werden, sondern erst zu prüfen ist, ob die Leistungen der Pflegeversicherung bzw. der Hilfe zur Pflege den Bedarf decken. Obwohl seit dem „zufällig“veröffentlichten Arbeitsentwurf im Dezember 2015 der Nachrang schon etwas differenziert worden ist, ist diese Regelung noch immer nicht konform mit der UN-Behindertenrechtskonvention. Schon in der Gemeinsamen Positionierung des Deutschen Behindertenrates, der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) und der Fachverbände für Menschen mit Behinderung aus dem Jahr 2014 wurde klargestellt: „Das Recht auf Teilhabe erstreckt sich auf alle Lebensbereiche und Lebensphasen.“Wir alle sollten an dieser unverzichtbaren menschenrechtskonformen Forderung festhalten.
BBZ: Wie schätzt Du die Erfüllung der ursprünglichen Ziele des Bundesteilhabegesetzes ein?
Ulrike Pohl: Diese Gemeinsame Positionierung, von der ich gerade sprach und die gerade mal zwei Jahre alt ist, enthält 6 Kernforderungen, an die ich an dieser Stelle noch einmal erinnern will:
- Teilhabe in allen Lebensphasen
- Einkommens- und vermögensunabhängige Teilhabeleistungen
- Freie Wahl der Wohnform, d. h. Streichung des Mehrkostenvorbehalts
- Plurale, unabhängige Beratung
- Bundeseinheitliche Bedarfsfeststellung, die sowohl die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit als auch den menschenrechtlichen Behinderungsbegriff berücksichtigt
- Ein Teilhabegeld als Nachteilsausgleich.
Von diesen 6 Kernforderungen ist nur eine komplett erfüllt, und zwar für die nächsten 5 Jahre: die unabhängige Teilhabeberatung. Länger ist die Finanzierung aus Bundesmitteln nicht gesichert.
BBZ: Was ist daher dein bisheriges Fazit?
Ulrike Pohl: Bis zur endgültigen Verabschiedung des Gesetzes sollten Menschen mit Behinderung, deren Angehörige, die Selbstvertretungen, die Fachverbände und die Verbände der LIGA Berlin gemeinsam Stellung beziehen, gemeinsam das Gespräch mit Abgeordneten im Bundestag und Bundesrat suchen, mit einprägsamen Beispielen erklären, warum dieses Gesetz in der jetzigen Fassung nicht verabschiedet werden kann.
Noch einen Gedanken zum Schluss: Ich habe eine Fragestunde im Bundestag zum Gesetzentwurf des Bundesteilhabegesetzes mit angehört und da war der häufigste Satz: “Es soll hinterher niemandem schlechtergehen als vorher.“
Ein solches Gesetz zur Besitzstandswahrung braucht niemand.