„Eine bessere Konstellation gab es für mich nicht …“

von: Berliner Behindertenzeitung

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Phil Hubbe ist sicherlich nicht der erste Humorist, der Krankheit und Behinderung als Thema aufgreift, aber im deutschsprachigen Raum der umtriebigste und bekannteste. Im Interview zu seinem neuen Band spricht er über seine MS-Erkrankung, seine Anfänge als Cartoonist und die universelle Natur von Humor. 

Lieber Herr Hubbe, wenn man mit Ihnen über Ihre „Behinderten-Cartoons“ sprechen möchte, kommt man nahezu zwangsläufig auch auf Ihre Krankheit zu sprechen. 1988 wurde bei Ihnen Multiple Sklerose diagnostiziert, da waren sie gerade mal Anfang 20. 2016 haben Sie Ihren 50sten Geburtstag gefeiert. Wie haben Sie sich mit der Krankheit arrangiert, welchen Einfluss hat sie auf Ihr Leben und Ihre Arbeit?

Das war schon ein ganz schöner Einschnitt in mein Leben. Zumal mir der Arzt damals auch gleich noch als Erstes sagte, ich solle mit der Zeichnerei lieber aufhören, da ich ja mit einer Behinderung rechnen müsse. Zum Glück habe ich nicht auf den Rat gehört. In den nächsten Jahren haben mir andere Ärzte empfohlen, solange weiterzumachen, wie es mein Zustand zuließe. Da es mir damals auch schnell wieder recht gut ging, habe ich unvermindert weitergezeichnet. Die Beeinträchtigungen, die ich mittlerweile habe, beeinflussen mich nicht so sehr bei meiner Arbeit. Ich musste und habe mich damit ganz gut arrangiert. Bei einer chronischen Erkrankung ist es aber immer so, dass man nicht sagen kann: so bleibt es. Man kann nicht vorhersagen, wie es vielleicht in ein paar Jahren aussieht.

Letztendlich habe ich aus meinem Hobby meinen Beruf gemacht und kann dabei sogar noch meine Krankheit verarbeiten. Eine bessere Konstellation gibt es für mich eigentlich nicht.

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Wann haben Sie begonnen, sich als Zeichner und Cartoonist mit den Themen Krankheit und Behinderung auseinanderzusetzen? Gab es Vorbilder?

Mit dem Thema speziell habe ich erst 1999/2000 angefangen. Es gab einen Amerikaner, John Callahan, der “Behinderten-Cartoons” im “New Yorker” veröffentlichte. Zu dem Zeitpunkt lief auch ein Bericht über ihn im Fernsehen und ein Band mit seinen Cartoons erschien in Deutschland. Alle Welt regte sich darüber auf, dabei saß er selber im Rollstuhl und konnte eigentlich nur noch seine Hände bewegen. Ich fand seine Zeichnungen gut und Freunde und Kollegen meinten, dass könne ich doch auch machen. Wenn einer mir was will, kann ich doch immer sagen, ich bin selber betroffen. So fing das an …

War es schwierig einen Verlag für Ihre Cartoons zu finden?

Es hat schon eine Weile gedauert. Ich wollte es ja nicht in irgend einem kleinen Verlag oder gar im Selbstverlag herausbringen. Es sollte schon ein richtig guter Cartoon-Verlag sein. Da habe ich mich natürlich für den Lappan-Verlag entschieden. Auf die erste Einsendung von Arbeiten bekam ich keine Antwort. Ich schickte aber immer wieder neue Sachen dorthin. Nach gut anderthalb Jahren bekam ich die erste Antwort vom Verleger, ja, die Sachen würden bei ihm noch auf dem Schreibtisch liegen und eventuell könnte es im Herbstprogramm 2004 klappen. So kam dann nach über 2 Jahren “regelmäßigen Nervens” meinerseits mein erster Cartoon-Band heraus. Aus diesem Anlass machten wir damals eine kleine Buchpräsentation hier in Magdeburg. Da kam dann in Gesprächen auch heraus, dass zuerst nur der Verleger für eine Veröffentlichung war und der Verkaufschef eher dagegen. Er musste es ja unter die Händler bringen und wusste auch, welche Vorbehalte es bei diesem Thema noch gab. Weihnachten war jedoch die erste Auflage verkauft. Da waren auch die letzten Zweifler im Verlag überzeugt, dass es eine Zielgruppe dafür gibt. Der erste Band (“Der Stuhl des Manitou…”) liegt inzwischen in der 5. Auflage vor.

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Phil Hubbe

Welche Funktion kann Humor im Umgang mit einem lange Zeit tabuisierten Thema wie Behinderung haben? Bevorzugen Sie den „schwarzen“ bzw. den Galgenhumor oder eher den positiven, aufbauenden Aspekt des Lachens. Kann man das überhaupt trennen?

Ich glaube, hier kann man es wirklich nicht trennen. Viele Betroffene erzählen oder schreiben mir, dass sie meine Bücher aufschlagen, wenn es ihnen mal nicht so gut geht. Eine Frau aus der Schweiz schrieb mir mal, als ihr Mann meinen Cartoon “MS Rainer” gesehen hat, konnte er das erste Mal seit 5 Jahren über seine Krankheit lachen. Ein schöneres Lob kann man eigentlich nicht bekommen. Ich zeichne nicht, um irgendeine positive oder pädagogische Botschaft zu vermitteln. Die Leute sollen einfach nur lachen, auch wenn mein Humor manchmal etwas schwarz ist. Wenn der Leser durchs Lachen auch zum zum Nachdenken anregt wird, habe ich nichts dagegen. Mein vorrangiges Ziel ist es aber nicht.

Mit Humor lässt‘s sich einfacher ins Gespräch kommen, was ich oft genug bei Ausstellungen mit meinen Arbeiten erlebe. Im öffentlichen Leben kommt es ja auch nicht allzu oft zum “Aufeinandertreffen” von so genannten Normalos und Betroffenen. Viele Verbände oder Selbsthilfegruppen nutzen meine Cartoons daher auch als “Eyecatcher” bei Messen/Veranstaltungen, um auf ihre Probleme aufmerksam zu machen.

Wie universell kann Humor über Minderheiten sein? Sie haben mal in einem Interview gesagt: „Es ist nicht entscheidend, ob man behindert ist, sondern ob der Witz gut ist.“ Aber können in Sachen Humor die gleichen Regeln für Betroffene wie Nicht-Betroffene gelten? Wo würden Sie die Grenzen ziehen?

Für mich entscheidend ist wirklich, ob der Witz gut ist und nicht wer ihn gezeichnet hat. Alles andere wäre für mich eine Ausgrenzung – und davon haben wir in unserer Gesellschaft schon genug. Ich muss aber auch gestehen: Wenn ich nicht selbst betroffen wäre, würde ich diese Witze höchstwahrscheinlich auch nicht zeichnen. Man sollte schon wissen, worüber man zeichnet, also Einblick in das Thema haben. Auch Betroffene haben schon zu mir gesagt: „Du darfst das.” einem Nichtbetroffenen würden sie es nicht abnehmen. Da gibt es also noch etwas Arbeit mit den Grenzen…

Was für ein Feedback kriegen Sie von Leserinnen und Lesern? Worin unterscheiden sich die Reaktionen von behinderten und nicht-behinderten LeserInnen?

Die meisten negativen Meinungen kommen natürlich von Leuten, die nicht betroffen sind und denken, sie müssten sich schützend vor die Behinderten stellen. Von Betroffenen bekomme ich eher Kritik in der Art, dass ich ihre Krankheit/Behinderung noch in keinem Cartoon verarbeitet habe. Sie wollen dazugehören. Ein besseres Zeichen dafür, wie wichtig Humor für sie ist und welchen Stellenwert er in ihrem Leben einnimmt, gibt es doch eigentlich nicht.

Sie sind eng mit Betroffenenverbänden, Behindertenbeauftragten von Unternehmen und Bundesländern, InklusionsreferentInnen, etc. vernetzt. Können Sie uns etwas über diese Aspekte Ihrer Arbeit erzählen? Welche Rolle spielen Ihre Cartoons auf dem Gebiet der Inklusion?

Eigentlich wollte ich mit meinen Cartoons Menschen, egal ob Betroffene oder Nichtbetroffene, nur zum Lachen bringen. Dass meine Arbeiten so eine Bedeutung für einige haben, ist natürlich dem Thema geschuldet. Das freut mich auch, aber gerechnet habe ich damit natürlich nicht, als ich damit begann. Mittlerweile werde ich eingeladen von Verbänden und Behindertenbeauftragten und soll anhand meiner Cartoons über “Inklusion” reden. Auch habe ich schon einige Workshops mit Geschwisterkindern (VdK Bayern) gemacht oder auch mit Kindern, die im Rollstuhl sitzen (“Time out – Camp”, Schweiz), zusammen gezeichnet. Vor 2 Jahren habe ich mit der Stadt Salzburg ein Malheft für Kinder im Vorschulalter herausgebracht, bei dem ich auf den Motiven Kinder ohne und mit Rollstuhl bei gemeinsamen Aktionen zeichnete. Das kam so gut an, dass einige Landkreise in Deutschland dies nachdruckten. Für mein neues Buch konnte ich sogar die Bundesbehindertenbeauftragte dazu gewinnen, mir ein paar Worte für den Klappentext zu schreiben.

Ihr erster Cartoon-Band „Der Stuhl des Manitou“ ist vor nunmehr 12 Jahren erschienen, da sprach noch kein Mensch von Inklusion. Das Stichwort damals hieß Integration. Wie nehmen Sie die Inklusionsdebatten der letzten Jahre wahr? Welche Entwicklungen haben Sie begrüßt und wo sehen Sie noch Verbesserungspotential?

Das stimmt, damals war das noch kein Thema und Humor schon gar nicht. Das änderte sich mit der Zeit. 2006 machte die „Aktion Mensch” eine große Plakataktion mit einem Motiv von mir. Mit der Zeit setzte sich die Erkentnis durch, dass Humor mit dazugehört. Nicht zuletzt, weil die Betroffenen selber darauf bestanden. Das mit der Beliebtheit und der steigenden Bekanntheit meiner Cartoons kam ja von unten, sozusagen von der Basis. Die Betroffenen verbreiteten meine Arbeiten, organisierten Ausstellungen und anderes. Erst dann horchten Verbände und Organisationen auf. Es müsste mehr Möglichkeiten geben, wo Betroffene und Nichtbetroffene sich treffen und ins Gespräch kommen können. Bis jetzt lebt fast jeder noch in seiner Welt.

Die „Behinderten-Cartoons“, die gesammelt bei Lappan erscheinen, sind aber nur ein Aspekt Ihres Schaffens. Einen fast noch größeren Raum nehmen klassische politische Karikaturen ein. — AfD, Pegida und jetzt auch noch der Brexit – sind solche unruhigen Zeiten ein Fest für die politischen Humoristen? Oder nimmt Ihnen die düstere Weltlage machmal die Freude an der Arbeit?

Ich mache zwar noch fast jeden Tag eine politische Karikatur, aber dies nimmt an Bedeutung für mich ab. Nicht alle Zeitungen bringen mehr regelmäßig Karikaturen und das Honorar sinkt auch immer weiter. Themen gibt es natürlich immer wieder reichlich, aber sie wiederholen sich auch oft. Freude an der Arbeit nimmt einem dann auch, dass man da nicht ganz so frei zeichnen kann, wie man möchte. Das Leserspektrum einer Tageszeitung ist nun mal sehr breit, und da will es sich die Redaktion natürlich nicht mit dem Leser verärgern. Bei meinen “Behinderten-Cartoons” dagegen lasse ich mich nicht einschränken. Es sei denn, es sind Auftragsarbeiten, da gibt es dann schon Absprachen.