Politikern gibt man nach der Wahl im Allgemeinen 100 Tage Zeit, um sich im neuen Amt einzuführen und Voraussetzungen für die Umsetzungen ihrer Wahlversprechen zu schaffen. Dann aber muss die Richtung sichtbar, erste Ergebnisse zu sehen sein.
Das beste Bundesteilhabegesetz
Das „beste Bundesteilhabegesetz“, wie es Kerstin Tack, behindertenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion nannte, ist nun auch rund 100 Tage in Kraft. Hier geht es aber um Menschen mit Behinderung, da nimmt man sich nicht soviel Zeit. „Sozialhilfeträger versuchen derzeit die neu gewonnenen Möglichkeiten weitestgehend auszureizen“, stellt Heinrich Buschmann vom Verein Mobil mit Behinderung MMB e. V., fest. „Bedarfe werden zusammengestrichen, Eigenanteile hochgesetzt. Und das alles meist in einem behördlich-nassforschen Ton, der den Empfängerinnen und Empfängern einen eiskalten Schrecken verpasst.“
Berliner spüren ebenfalls die Auswirkungen
Davon können auch behinderte Menschen in Berlin ein Lied singen. Wenn beispielsweise sich junge Menschen zusammentun, um eine WG zu gründen, diese dann ganz schnell in eine Pflege-WG umgewandelt wird und Assistenzen gestrichen werden. Und natürlich wird da auch keine Zeit verloren. Bereits am 27. Januar erging der Bescheid mit Gültigkeit ab dem 1. Februar. Jeder Mensch bekommt eine Übergangsfrist zugebilligt, um sich auf die neue Situation einzustellen oder einfach einen Einspruch gegen den Bescheid einlegen zu können. Bei den Betroffenen Jugendlichen betrug die Übergangsfrist ganze drei Tage. Wenn das kein „nassforscher Ton“ ist, was dann? Immerhin stellte der Beamte bei einem Jugendlichen mit einer progressiven Muskelerkrankung eine „Verbesserung des Zustandes“ fest und warf ihm auch noch vor, darüber nicht informiert zu haben. Die ganze Geschichte können Sie auf Seite 7 der aktuellen BBZ nachlesen.
Menschenrechte lassen sich nicht in Gänze umsetzen
Für Karl Schiewerling, Mitglied der CDU-Bundestagsfraktion, ist das alles kein Problem. In einem persönlichen Gespräch mit Heinrich Buschmann sagt er: „Herr Buschmann, nicht jedes Menschenrecht lässt sich zur Gänze umsetzen.“ Das ist doch mal eine klare Ansage. Da weiß der behinderte Mensch doch wenigstens, dass man nicht alles erwarten kann und mit dem zufrieden zu sein hat, was man hat. Auf die Empörung über seine Aussage reagierte Schiewerling mit einem erklärenden Brief: „Die Aussage ‚nicht jedes Menschenrecht lässt sich in Gänze umsetzen‘ gibt lediglich die herrschende Meinung in der Bundesrepublik, dass nämlich die Grundrechte des Grundgesetzes (GG) in ihrer heutigen Ausprägung als positivrechtliche Ausgestaltung der fundamentalen Menschenrechte verstanden werden, wieder.“
Übrigens war es Karl Schiewerling, der sich bei der Vorstellung der Änderungen am Bundesteilhabegesetzes im Herbst im Bundestag darüber beschwerte, „welche Anrufe sie bekommen haben, welche Form von Anrufen, welche E-Mails und wie die Dinge gelaufen sind“.
ANZEIGE