„Familien, in denen schwerkranke Kinder leben, leisten kaum Vorstellbares!“

von: Berliner Behindertenzeitung

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Corinna Ebadi (links) und die Gründerin des Berliner Herz, Christiane Edler, Foto: HVD

Corinna Ebadi ist ausgebildete Kinderkranken- und Palliativschwester für Kinder und Jugendliche. Nach mehrjähriger Leitungserfahrung in verschiedenen Einrichtungen zur Betreuung von schwerstkranken Kindern und Jugendlichen hat sie im Herbst 2014 die Pflegedienstleitung im teilstationären Kindertages- und Nachthospiz Berliner Herz übernommen. Sie organisiert und begleitet die fachliche Planung, Durchführung und Evaluation der Pflegeprozesse und die Sicherstellung der Qualität für die Gäste des Berliner Herz.Die Fragen stellte Nina Peretz.

 

Frau Ebadi, das Kindertages- und Nachthospiz Berliner Herz besteht erst seit März 2015. Was war die Motivation für den HVD, die Einrichtung zu gründen?

Corinna Ebadi: Der Humanistische Verband engagiert sich in Berlin und Brandenburg sehr stark im Hospizbereich und hatte schon vor der Eröffnung des stationären Kindertages-und Nachthospizes vier Hospizdienste, darunter auch den ambulanten Kinderhospizdienst Berliner Herz. Jedoch gaben die betroffenen Eltern von lebenslimitierten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen an, dass sie sich noch mehr Hilfe wünschen würden.

Für die betroffenen Familien ist das Leben mit einem chronisch kranken Kind oft eine große Belastung. Zusätzlich zu der Angst, sein geliebtes Kind verlieren zu können, ist die konkrete tägliche Betreuung kräftezehrend und zeitintensiv. Darunter leiden häufig die Partnerschaften. In anderen Fällen muss die Berufstätigkeit eingeschränkt oder sogar ganz aufgegeben werden. Erschöpfung und Schuldgefühle sind ein Dauergefühl dieser Eltern. Dabei leisten Familien, in denen schwerkranke Kinder leben, kaum Vorstellbares! Wir wollen sie dabei unterstützen. Damit Kinder auch weiterhin in der Familie bleiben können, benötigen Eltern in ihrem Alltag individuelle Angebote, die nicht nur in Notsituationen schnelle Unterstützung bieten, sondern kurzfristig sowie langfristig Entlastung bringen.

Das Kindertages- und Nachthospizes Berliner Herz möchte es mit seiner Einrichtung erreichen, die individuelle Familie zu entlasten, Zeit für Geschwister zu schaffen, Kontakte zu Gleichbetroffenen zu ermöglichen, die Berufstätigkeit der Eltern und damit die Existenzsicherung der Familie zu unterstützen sowie der sozialen Isolation entgegenzuwirken. Mit unserer Hospizform haben die Eltern erstmalig die Möglichkeit, ihre zu versorgenden Kinder betreuen und pflegen zu lassen. Dies kann hier stunden- und tageweise erfolgen.

Mit welchen Angeboten gestalten Sie den Alltag für schwerkranke Kinder und Jugendliche so angenehm wie möglich?

Corinna Ebadi: Das neue besondere Angebot des Kinderhospizes Berliner Herz ist die individuell gestaltbare Pflegezeit, die sich dem Bedarf der Gäste und der Familien flexibel angepasst. In zwei Zwölf-Stunden-Rhythmen bieten wir Tages- oder Nachtpflege (7 bis 19 Uhr und 19 bis 7 Uhr). Dafür stehen sieben Plätze zur Verfügung. Bei uns ist aber auch für bis zu fünf weitere Kinder eine 24-Stunden-Versorgung möglich, also Tages- und Nachtpflege.

Im Kinderhospiz Berliner Herz werden, neben der pflegerischen, medizinischen Versorgung und Betreuung der Kinder, eine Vielzahl therapeutische Angebot gemacht, außer Physio-, Ergo- und Atemtherapie sowie Logopädie bieten wir auch Musik-, Kunst-, und Tiertherapie an. Dazu werden die liebevoll gestalteten und eigens dafür eingerichteten Räume wie unser Raum der Stille, der Beschäftigungsraum und der Snoezelenraum zur Entspannung und Meditation genutzt. Um das leibliche Wohl der Gäste kümmern sich unser Koch und ein Ernährungsberater.

Welche Bedeutung hat das Berliner Herz für die pflegenden Angehörigen? Was können Sie für diese tun?

Corinna Ebadi: Das Kinderhospiz Berliner Herz bietet zusätzlich zu den umfangreichen Angeboten die Möglichkeit der Geschwisterbetreuung. Es gibt Familienbegleiter in der häuslichen Umgebung, Unterstützung durch Sozialarbeiter, Trauerbegleitung für Familien und Freunde sowie psychologische Begleitung.

Wir sind für Angehörige, Geschwister, Eltern und Einrichtungen da, geben Hilfestellung, Beratung und Begleitung bei Behördengängen, Begutachtungen oder sind auch nur für Gespräche und nahe Kontakte da.
Häufig sind wir die einzigen Kontakte, die Angehörige zur Außenwelt haben, da sie stark in die Pflege und Betreuung der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen eingebunden sind. Es besteht ein großes Vertrauensverhältnis zwischen den Familien und uns, weil wir uns um die ganze Familie kümmern.
Das Hospiz finanziert sich zu 95 Prozent über den mit den Krankenkassen vereinbarten tagesbezogenen Pflegesatz und muss selbst fünf Prozent der Kosten über Spenden finanzieren. Es wird für die Aufnahme im Hospiz ein ärztliches Gutachten benötigt, woraus hervorgeht, dass eine lebenslimitierte Erkrankung beim Kind beziehungsweise Jugendlichen und jungen Erwachsenen vorliegt.
Eine der Herausforderungen ist es, einen reibungslosen Antragsvorgang durchzuführen, wobei die Eltern der betroffenen Gäste dabei entlastet werden sollen und dies überwiegend zwischen Hospiz und versorgendem Haus- beziehungsweise Kinderarzt erfolgen sollte. Eltern sind bereits durch viele bürokratische Hindernisse sehr belastet.

Wie bedeutsam sind ehrenamtlich Engagierte für Ihre Angebote?

Corinna Ebadi: Die Ehrenamtlichen sind für unser Angebot sehr wichtig, und wir sehen sie als eine Säule unseres Hauses an. Sie unterstützen uns in der Arbeit und Betreuung unserer Gäste. Sie gehören zu unserem multiprofessionellen Team.
Jeder Ehrenamtliche erhält eine entsprechende Ausbildung, regelmäßig Supervisionen sowie persönliche Zuwendung durch uns Professionelle. Die Ehrenamtlichen bringen ins Team Ressourcen ein, die wir für unsere Arbeit dringend benötigen. Dazu gehören Hilfestellung bei der Beschäftigung und liebevolle Zuwendung an die Gäste und deren Angehörige, Hilfe bei der Pflege und Unterhaltung des Hauses und Unterstützung bei unseren öffentlichen Veranstaltungen. Ferner kommen die Ehrenamtlichen, die als Familienbegleitung bereits in Familien des ambulanten Herzes als Unterstützung arbeiten, mit ins Hospiz und sind für die Eltern eine Ergänzung als Ansprechpartner und Vertrauensperson.

Sollten Ihrer Meinung nach die Themen chronische Krankheiten und Hospize in der Öffentlichkeit präsenter sein?

Corinna Ebadi: Ja, davon bin ich überzeugt. Durch die lange Berufserfahrung habe ich erlebt, dass Menschen, die chronisch erkrankt sind, und deren Angehörige eine geringe Lobby und wenig Verständnis für ihre Situationen erhalten. Sie stehen oft allein in der pflegerischen Versorgung, mit der Sorge um das Leben ihrer Kinder und den möglichen Verlust dieser. Sie sind oft in Ausnahmezuständen, leiden unter der Belastung, und ihre Überlastung nehmen sie kaum mehr wahr. Vereinsamung und Hilflosigkeit sind die Folge. Der Begriff Hospiz hat noch immer eine sehr abschreckende Bedeutung in der Öffentlichkeit und wird gerade im Zusammenhang mit Kindern sehr mit Abstand betrachtet. Dass bei uns im Hause nicht unbedingt nur gestorben wird, sondern die Familien mit ihren betroffenen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen Hilfe bekommen, Entlastung erfahren und mit mehr Stärke in die Häuslichkeit entlassen werden, ist wenig bekannt. Das muss noch stärker publik gemacht werden.

Mehr unter kindertageshospiz-berlin.de.

Der Artikel ist erschienen auf www.paritaet-berlin.de.