Edda Gerstner ist gebürtige Saarländerin. Nach einer kaufmännischen Ausbildung war sie als Meisterin der städtischen Hauswirtschaft und Elternbegleiterin tätig. Die Spielpädagogin hat selbst 30 Jahre lang Tageskinder betreut. Derzeit ist sie als Dozentin für verschiedene Träger, u.a. auch in der Weiterbildung für Kindertagespflegepersonen engagiert. 2012 wurde sie stellvertretende Vorsitzende des Arbeitskreises zur Förderung von Pflegekindern e.V. Die Fragen stellte Miguel-Pascal Schaar.
Frau Gerstner, in diesem Jahr veranstalteten Sie am 17. Mai erstmals einen Tag der offenen Tür der Berliner Kindertagespflege. Was passierte da?
Edda Gerstner: An dem Tag hatten berlinweit Kindertagespflegepersonen ihre Pflegestellen für die Berliner geöffnet. Interessierte Besucher konnten sich informieren, wie vielfältig die Kindertagespflege sein kann und wie professionell und motiviert Kindertagespflegepersonen arbeiten. Vielen Berlinern ist die Kita ein fester Begriff, über die Betreuung in der Kindertagespflege weiß man allerdings oft erschreckend wenig. So ist vielen Eltern nicht bekannt, dass ihnen das Sozialgesetzbuch VIII ein Wunsch- und Wahlrecht garantiert. Eltern können also frei entscheiden, ob ihr Kind in einer Kita oder in einer Kindertagespflege betreut werden soll.
Die Kindertagespflegepersonen haben diesen Tag der offenen Tür genutzt, um ihre Arbeit transparenter zu machen und die Kindertagespflege stärker in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Die Adressen der Kindertagespflegen, die geöffnet hatten, sind auf der Webseite guck-an-kindertagespflege.de zu finden.
Wie funktioniert die Arbeit in einer Kindertagespflege?
Edda Gerstner: Die Berliner Kindertagespflege feiert in diesem Jahr ihr 40jähriges Jubiläum und ist als adäquate Betreuungsform zur Kita in der Stadt gut etabliert.
Während dieser Zeit hat sie sich zu einer Betreuungsform mit vielen Facetten entwickelt. Da finden wir die Betreuung in eigenen oder angemieteten Räumen mit bis zu fünf Kindern oder auch in Verbundpflegen mit zwei pädagogischen Kräften in angemieteten Räumen mit bis zu zehn Kindern.
Die Jugendämter sind zuständig für die Vermittlung von Tagespflegeplätzen, für die Beratung – auch von Eltern – sowie Praxisbegleitung und Fortbildung von Tagespflegepersonen. Die Eltern zahlen einen Kostenbeitrag, der sich nach dem Einkommen berechnet. Die Kostenbeiträge sind für Kita und Kindertagespflege gleich. Die Kindertagespflegestellen werden von den Jugendämtern mit kindgerechten Möbeln und pädagogisch wertvollem Spielzeug ausgestattet.
Die Tagesmütter und -väter durchlaufen alle eine Qualifizierung und müssen sich ständig weiterbilden. Außerdem sind sie verpflichtet, die vorgeschriebenen Hygienestandards einzuhalten. In der Kindertagespflege wird für jedes Kind ein Sprachlerntagebuch angelegt. Grundlage für die Betreuungsarbeit ist das Berliner Bildungsgesetz.
Gerade für kleinere Kinder ist die familienähnliche, individuelle Betreuung in kleinen Gruppen förderlich. Um all ihre Kompetenzen zu entwickeln und gut gedeihen zu können, brauchen Kinder eine konstante Beziehungsperson, Struktur und Anregung. All dies finden sie in der Kindertagespflege. Das wird auch durch eine Studie der Wiener Entwicklungsforscherin Lieselotte Ahnert bestätigt.
Die Kindertagespflegen sind untereinander gut vernetzt. Die Gruppen treffen sich regelmäßig zum Erfahrungsaustausch. Gemeinsam wird mit den Kindern geturnt und es werden musikalische Früherziehung oder Ausflüge organisiert. So haben die Kinder auch die Möglichkeit, Erfahrung in größeren Gruppen zu sammeln.
Leben Pflegekinder nicht eigentlich für einen längere Zeit in Pflegefamilien? Welchen Unterschied gibt es zu den Tagespflegekindern?
Edda Gerstner: Hier müssen wir zwischen Pflegekindern und Tagespflegekindern unterscheiden. Im Jugendwohlfahrtsgesetz wurde die Kindertagespflege noch ins Pflegekinderwesen mit einbezogen. Mit der Einführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes 1991 wurde sie erstmals dem Bereich Kindertagesbetreuung zugeordnet, aus dem die Kindertageseinrichtungen ihren Auftrag ableiten (siehe KJHG §23). In den aktuellen Gesetzesnovellen des TAG – d.h. Tagesbetreuungsausbaugesetz – und des KICK – also dem Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz aus dem Jahr 2005 – wurde dann explizit die Gleichrangigkeit von Kindertagespflege und Kita ausformuliert. Die Kindertagespflege hat also ein ganz eigenes Profil und gehört nicht zum Pflegekinderwesen.
Was macht der Arbeitskreis zur Förderung von Pflegekindern e.V.?
Edda Gerstner: Der Arbeitskreis zur Förderung von Pflegekindern e.V . ist ein anerkannter freier Träger der Jugendhilfe. Er nimmt landes- und bundespolitisch Einfluss. Er unterstützt Tagesmütter und -väter sowie Pflegeeltern durch Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit. Und er setzt sich dafür ein, dass Familien, die Pflegekinder aufnehmen, angemessen unterstützt werden.
Schirmherrin für den 1. Tag der offenen Tür in der Berliner Kindertagespflege war die für die Bereiche Jugend und Familie zuständige Senatorin Sandra Scheeres. Welche Erwartungen haben Sie an die Politik?
Edda Gerstner: Die Kindertagespflege ist zwar nach den Ausführungsvorschriften zur Kindertagespflege (AV-KTPF) vom 21. Dezember als gleichrangiges Angebot zur Kindertagesbetreuung anerkannt. Dennoch fehlt es an einer konzeptionellen Zusammenarbeit zwischen Kita und Kindertagespflege. Wenn von Kinderbetreuung gesprochen wird, fällt auch Politikern meist nur die Kita ein. Die Kindertagespflege erwartet daher von der Politik, dass die Kooperation von Kita und Kindertagespflege stärker vorangetrieben wird. Wenn wir dem flexibilisierten Betreuungsbedarf der Eltern und den neuen Anforderungen an die Bildungsförderung von Kindern, auch unter drei Jahren, gerecht werden wollen, bedarf es größerer Anstrengungen die Kooperation von Kita und Kindertagespflege voranzutreiben.
Mehr unter guck-an-kindertagespflege.de
Quelle: Paritätischer Wohlfahrtsverband – Landesverband Berlin