Halbe Milliarde Euro der Bundesarbeitsagenturen versickert in Werkstätten für Menschen mit Behinderung

Hubert Hüppe, MdB, CDU, fragt Bundesregierung nach der Erfolgsquote in der Vermittlung auf den ersten Arbeitsmarkt

von: Berliner Behindertenzeitung

Über eine halbe Milliarde Euro zahlt die Bundesagentur für Arbeit jährlich für die Maßnahmen im sogenannten „Eingangsverfahren“ und dem „Berufsbildungsbereich“ (siehe Kasten unten) in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM). Tendenz steigend! Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage des CDU-Bundestagsabgeordneten und ehemaligen Behindertenbeauftragten Hubert Hüppe. Noch nie wurden so viele Menschen mit Behinderung in Werkstätten beschäftigt wie im Jahr 2017.

„Sehr kritisch sehe ich vor allem, dass in den letzten Jahren kaum Evaluationen zum Übergang aus Werkstätten für Menschen mit Behinderungen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt erstellt wurden. Aus der letzten Studie, die aus dem Jahr 2008 stammt, geht hervor, dass in den Jahren 2002 bis 2006 im Jahresdurchschnitt nur 0,16 Prozent der Werkstattbeschäftigten auf den ersten Arbeitsmarkt gewechselt haben. Da kann man sicherlich nicht von Erfolg sprechen und ich frage mich, wo die Erfolgskontrolle bleibt“, so Hüppe verärgert.

Werkstätten bilden einen festen Bestandteil einer Sonderwelt, in denen Menschen mit Behinderung leben. Nach dem Förderkindergarten folgen Förderschule und der Arbeitsplatz in der Werkstatt. Es mangelt vor allem an Transparenz. Obwohl 95 Prozent der Kosten aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, gibt es nur wenige Angaben über die tatsächliche Verwendung der Gelder in Werkstätten. Und die Aufwendungen der Bundesagentur für Arbeit wie auch der Träger der Eingliederungshilfe für Rehabilitationsmaßnahmen steigen jedes Jahr.

„Es entsteht der Eindruck, dass die Arbeitsagenturen kein Interesse daran haben, Erfolgskontrollen durchzuführen. Schließlich können sie nach den von ihnen finanzierten Maßnahmen, ihre „Fälle“ an die Eingliederungshilfe abgeben, in der die Menschen mit Behinderung in der Regel bis zur Verrentung verbleiben. Denn auch die wenigen bekannten Daten über den sogenannten „Arbeitsbereich“ der WfbM belegen, dass, obwohl es sich auch hier um eine Rehabilitationsleistung handelt, ein Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt die absolute Ausnahme ist. Darüber hinaus werden die Betroffenen sozialrechtlich bestraft, denn in den meisten Fällen sei die Rente nach dem Übergang in den ersten Arbeitsmarkt nach 40 Jahren geringer als nach 20 Jahren in einer WfbM“, so Hüppe.

Viele Kritiker bemängeln, dass beim parlamentarischen Verfahren um das Bundesteilhabegesetz eine Kursänderung versäumt wurde. Es lagen zahlreiche Vorschläge von Fachverbänden und Interessensvertretungen vor, einen inklusiven Arbeitsmarkt aufzubauen. So wurde beispielsweise die Einführung eines Budgets für Ausbildung, ähnlich dem nun bundesweit gültigen Budget für Arbeit, gefordert, um jungen Menschen mit Beeinträchtigung bereits zu Beginn des Arbeitslebens eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Leider nahm die Arbeitsministerin Andrea Nahles, SPD, die Vorschläge fast ausnahmslos nicht auf.

„Wenn darüber diskutiert wird, dass sich Einrichtungen öffnen sollen, um mehr Angebot für Menschen mit Behinderung zu schaffen, wird immer von „hohen Standards“ der Maßnahmen in Werkstätten gesprochen. Es ist auch an der Datenlage nicht ersichtlich, was das für Standards sind, wie die Kriterien dafür aussehen, wenn die Erfolgsquote von Rehabilitationsmaßnahmen weit unter einem Prozent liegt. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass über 99 Prozent der Teilnehmer anschließend zu Dauerleistungsempfänger in Sondereinrichtungen werden“, so Hüppe weiter.

Eine stetig wachsende Zielgruppe sind Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. „Diese Menschen, die nicht selten eine abgeschlossene Ausbildung und einen Arbeitsplatz haben, benötigen aus meiner Sicht tatsächliche Rehabilitationsmaßnahmen, die ihnen Schritt für Schritt den Weg ins beziehungsweise zurück ins Arbeitsleben ermöglichen und eben keine dauerhafte Perspektive in einer Werkstatt. Teile des Geldes sollten meiner Meinung nach in Alternativen zur Werkstatt investiert werden“, fasst Hüppe zusammen. Der Gesetzgeber müsse gegebenenfalls auch mehr Möglichkeiten schaffen, dass Kostenträger bei geringen Erfolgsquoten Verträge kündigen können, damit Menschen mit Behinderungen bessere Perspektiven bekommen.

In dieser Woche beschäftigt sich der Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales mit dem Thema. Anlass für die Diskussion gab die „Team Wallraff“-TV-Ausstrahlung vom 20. Februar. Darin wurde nicht nur vom unmenschlichen Umgang einiger Mitarbeiter in Werkstätten für Menschen mit Behinderung mit den Beschäftigten berichtet, sondern auch aufgezeigt, dass das eigentliche Ziel der Werkstätten, durch pädagogische Arbeitsbegleitung den Betroffenen zu mehr Eigenständigkeit und Selbstbestimmung zu verhelfen, oft verfehlt wird.

 

Infos: Die Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) ist eine Einrichtung zur Teilhabe am und zur Eingliederung in das Arbeitsleben. Sie nimmt diejenigen Menschen mit Behinderung auf, die wegen Art und Schwere der Behinderung, nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können. Das sogenannte „Eingangsverfahren“ dauert bis zu drei Monate. Dabei soll festgestellt werden, ob die Werkstatt die geeignete Einrichtung für die Teilhabe am Arbeitsleben ist. Daran schließt sich der „Berufsbildungsbereich“ an. Die Leistungen werden hier für zwei Jahre erbracht. Nach dem ersten Jahr, dem Grundkurs, erfolgt ein Bericht, der im Fachausschuss, dem Beratungsgremium von Werkstatt und Vertretern aus Arbeitsagentur und Sozialhilfe, besprochen wird. Kann die Leistungsfähigkeit des Teilnehmers weiter gefördert werden, wird vom zuständigen Rehabilitationsträger ein zweites Jahr, der Aufbaukurs, bewilligen. Die Leistungen in diesen beiden Bereichen werden durch die Bundesagentur für Arbeit finanziert. Nach Abschluss des „Berufsbildungsbereichs“ wechseln die meisten Teilnehmer in den Arbeitsbereich der Werkstatt. Die Beschäftigung im Arbeitsbereich ist unbefristet. Die Werkstatt soll über ein möglichst breites Angebot an Arbeitsplätzen mit weitgehender Entsprechung zum allgemeinen Arbeitsmarkt verfügen, um der Art und Schwere der Behinderung, der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit sowie Eignung und Neigung des betreffenden Menschen so weit wie möglich Rechnung zu tragen. Diese Leistungen werden durch die Eingliederungshilfe, ehemals Sozialhilfe, finanziert.