Kürzungen des Pflegegeldes

von: Berliner Behindertenzeitung

Ohne TitelKürzungen werden verfahrensrechtlich zukünftig erschwert

Menschen, die im Rahmen des Pflegeversicherungsgesetzes Pflegegeld oder Pflegesachleistungen empfangen, werden einer der in § 15 SGB XI enthaltenen Pflegestufe zugeordnet. Diese Zuordnung mit der Feststellung, dass eine Leistungspflicht der Pflegekasse besteht, ist ein so genannter Verwaltungsakt im Sinne von § 31 SGB X mit Dauerwirkung. Dies bedeutet: ist der Bescheid einmal in der Welt, bleibt er zwischen der Pflegekasse und dem Pflegebedürftigen solange verbindlich, bis er durch einen neuen so genannten Änderungs- oder Aufhebungsbescheid ersetzt wird. Anders ausgedrückt, wenn ein pflegebedürftiger Mensch Leistungen der Pflegeversicherung empfängt, dürfen ihm diese nicht ohne weiteres wieder weggenommen werden. Vielmehr muss ein neues sozialrechtliches Verfahren nach § 18 SGB XI durchlaufen werden. Die Pflegekassen haben selbstverständlich ihrerseits ein Interesse daran, dass Leistungen nach dem SGB XI nicht zu Unrecht beansprucht werden, beispielsweise weil sich der gesundheitliche Zustand des ursprünglich pflegebedürftigen Menschen so gebessert hat, dass er keinen Anspruch auf Leistungen der Pflegekasse haben würde. Aus diesem Grunde werden so genannte Wiederholungsbegutachtungen durchgeführt, mit denen behinderte Menschen in der Regel mehrmals in ihrem Leben konfrontiert werden.

 

Vorsicht bei Wiederholungsbegutachtungen

 

Zwischenzeitlich hat sich bei den Pflegekassen mehr und mehr durchgesetzt, im Rahmen dieser so genannten Wiederholungsbegutachtung eine Herabsetzung der Pflegestufe durchzuführen. Unter Bezugnahme auf die Wiederholungsbetrachtung wird dann durch den MDK festgestellt, dass der Pflegebedarf geringer geworden ist und damit der pflegebedürftige Mensch keiner Pflegestufe oder einer geringeren Pflegestufe zuzuordnen ist.
Für die pflegebedürftigen Menschen in Berlin und Brandenburg kann sich eine solche Verfahrensweise als höchst problematisch erweisen; – insbesondere wenn sie ein selbstständiges Leben führen. Denn ist ein so genannter Änderungs- oder Aufhebungsbescheid gegenüber dem pflegebedürftigen Menschen bekannt gegeben worden, muss das Pflegegeld vorerst nicht mehr oder nur in geringerer Höhe als zuvor gezahlt werden. Denn durch den Aufhebungs- oder Änderungsbescheid wird die ursprüngliche Dauerwirkung des Bescheids über die Pflegebedürftigkeit mit einer bestimmten Pflegestufe aufgehoben und durch den neuen Bescheid ersetzt. Erhebt der pflegebedürftige Mensch gegen diese so genannte Herabsetzung der Pflegestufe Klage vor dem Sozialgericht, wird hierdurch die Dauerwirkung des ursprünglichen Bescheids über die Pflegestufe nicht automatisch während der Prozessdauer wiederhergestellt. Dies ergibt sich aus § 86a Abs. 2 Ziff. 3 SGG, wonach die aufschiebende Wirkung entfällt, wenn es um Angelegenheiten der Sozialversicherung bei Verwaltungsakten geht, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen.

 

Lange Verfahrensdauer

 

Durch die zahlreichen sozialrechtlichen Verfahren betreffend das Arbeitslosengeld II ist die Sozialgerichtsbarkeit in Berlin und Brandenburg kapazitätsmäßig überfordert. Es ist keine Seltenheit, dass ein Gerichtsverfahren 3 bis 5 Jahre dauert, bevor auch nur ein Verhandlungstermin durch das Gericht angeordnet worden ist. Für die pflegebedürftigen Menschen grenzt es an eine Katastrophe, wenn sie 3 bis 5 Jahre warten sollen, bis die Pflegeleistung wieder erhöht wird oder sie sie wieder gewährt bekommen. Daher muss nicht nur der Bescheid über die Aufhebung/Änderung der Pflegestufe prozessual angegriffen werden, sondern auch die in § 86a Abs. 2 Ziff. 3 SGG gesetzlich angeordnete Wirkung. Dies geschieht durch einen Antrag im vorläufigen Rechtsschutz, wonach die Wirkung gemäß § 86b SGG durch das Gericht vorläufig angeordnet werden kann, bis eine endgültige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung oder Änderung der Pflegestufe getroffen worden ist.

 

Auschiebende Wirkung

 

Das Landessozialgericht Berlin – Brandenburg hat nunmehr am 20. Januar 2014 zum Aktenzeichen L 27 P 47/13 B ER entschieden, dass eine solche aufschiebende Wirkung durch das erstinstanzliche Gericht jedenfalls dann anzuordnen ist, wenn die Herabsetzung der Pflegestufe oder Aufhebung des Bescheids über die Gewährung von Pflegegeld allein auf eine Routinebegutachten des MDK gestützt wird. Maßgeblich ist hier § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X, welcher eine wesentliche Änderung der Verhältnisse voraussetzt. Diese sei nach Ansicht des Gerichts nicht bereits dann eingetreten, „wenn in einem nach Erlass des Bewilligungsbescheides eingeholten Gutachten der Zeitaufwand in der Grundpflege maßgeblich geringer eingeschätzt wurde als in dem der Bewilligung zu Grunde liegendem Erstgutachten. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, dass in tatsächlicher Hinsicht, beispielsweise in dem Gesundheitszustand des Betroffenen, Änderungen eingetreten sind, die nachvollziehbar den Umfang dessen Hilfebedarfs vermindert haben.“

 

 

Deutliche Verbesserung erreicht

 

Da die Pflegekasse beweisen muss, dass und vor allem welche maßgeblichen Verhältnisse sich geändert haben, stellt die Entscheidung für pflegebedürftige Menschen eine deutliche Verbesserung dar. Schließlich müssen sie nun nicht mehr mehrere Jahre warten, bis ein Gericht ihnen Leistungen aus der Pflegeversicherung rückwirkend zuspricht, sondern können über den vorläufigen Rechtsschutz die Leistungen mit geringer Prozessdauer vorerst weiter beanspruchen.

Über die Autorin: Stephanie Claire Weckesser ist Rechtsanwältin in Berlin. Sie ist überwiegend im Miet-, Wohnungseigentums- und Immobilienrecht tätig. Weitere Tätigkeitsfelder sind Feststellungsverfahren nach dem SGB IX, Verfahren zur Erlangung von Erwerbsunfähigkeitsrente, Einstufung in die Pfegeversicherung sowie steuerrechtliche Fragen zur Krankheit und Behinderung. Ihre Kontaktdaten sind: Kronprinzendamm 3, 10711 Berlin, Tel.: 030/36409861, www.scweckesser.net.

 

Von Stephanie Claire Weckesser