Elke Breitenbach (55) sitzt für die LINKE seit 2003 im Berliner Abgeordnetenhaus und hat zuvor u. a. in der PDS-Bundestagsfraktion sowie bei der Berliner Senatorin für Gesundheit und Soziales Heidi Knake-Werner gearbeitet. Sie ist bekannt als aktive Gewerkschaftlerin sowie als behinderten- und sozialpolitische Sprecherin der LINKEN im Berliner Parlament. Elke Breitenbach gehörte zur Verhandlungsgruppe der LINKEN für den neuen Koalitionsvertrag und wird voraussichtlich am 8. Dezember die neue Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales. Über die Schwerpunkte und Ziele der r2g-Koalition in der Berliner Behindertenpolitik sprach Breitenbach mit der BBZ.
BBZ: r2g ist die Abkürzung für rot-rot-grün und steht für die künftige Koalition von SPD, LINKE und B90/Die Grünen in Berlin. Der Koalitionsvertrag – das Arbeitsprogramm für die kommenden fünf Jahre–liegt nun vor und umfasst 177 Seiten. Was soll sich speziell für Menschen mit Behinderungen unter der neuen Regierung verändern?
Elke Breitenbach: Nach Jahren des Stillstandes will r2g einen Neuaufbruch in der Inklusionspolitik. Barrierefreiheit, Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung sind zentrale Punkt die sich im Koalitionsvertrag finden. Mit einem ressortübergreifenden Konzept zur Umsetzung der behindertenpolitischen Leitlinien und seiner Umsetzung wollen wir schnell beginnen. Dies wird allerdings ein längerer Prozess werden, aber mit dem Konzept legen wir transparent die einzelnen Maßnahmen vor und stellen sie zur Diskussion.
Wir werden in dieser Legislaturperiode das Landesgleichberechtigungsgesetz weiterentwickeln und dabei auch die Ergebnisse des Normenkontrollverfahrens zur UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen. Auch durch das geplante Landesantidiskriminierungsgesetz werden Menschen mit Behinderung gestärkt, sich gegen Diskriminierung zu wehren.
Für die neue Koalition ist ein Schwerpunkt der Ausbau der inklusiven Schulen und die Verbesserung der Betreuung von Kindern mit Behinderung in der Kita. Bis zum Ende der Legislaturperiode werden wir 36 inklusive Schwerpunktschulen einrichten. Damit sind wir bei der Inklusion ein großen Schritt weiter und viele Kinder werden davon profitieren. Gleichzeitig wird die notwendige Unterstützung für die Kinder in den Bildungseinrichtungen verbessert. Familien mit Kindern mit Behinderung wollen wir durch den Ausbau der Jugendämter und Unterstützungsstrukturen gezielt stärken.
Die Koalition will die gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Behinderung verbessern. Dazu gehört auch, dass bei der bedarfsgerechten Ausgestaltung der ärztlichen Versorgung die Barrierefreiheit von Praxen beachtet wird. Mit der Einrichtung von medizinischen Behandlungszentren (MZEB) soll die Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung und schweren Mehrfachbehinderungen unterstützen werden. Wir haben vereinbart, das Landespflegegeldgesetz erneut zu ändern und die Taubblindheit als eigenständige Behinderung anzuerkennen. Damit wird die bestehende Diskriminierung und Schlechterstellung beendet.
Wir wollen den Zugang zu Arbeit und Ausbildung für Menschen mit Behinderung fördern und ihren hohen Anteil an der Erwerbslosigkeit reduzieren. Ihre Eingliederung in den 1. Arbeitsmarkt und die ausreichende Unterstützung wollen wir vorantreiben. Integrationsbetriebe und Integrationsfachdienste sollen stärker gefördert werden. Auch wird die Koalition ein Budget für Arbeit einführen, um Menschen mit Behinderung den Wechsel von einer Werkstatt für Behinderte in einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz im ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern.
BBZ: Neben den Bereichen Bildung, Arbeit, Soziales und Gesundheit sind auch die Themen barrierefreies Wohnen, Mobilität und barrierefreie Infrastruktur von großer Bedeutung. Was ist hier geplant?
Elke Breitenbach: Ein zentraler Punkt für r2g ist die Verbesserung der Mobilität. Mit einem Gesamtkonzept zur Mobilitätssicherung für Menschen mit Behinderung werden wir die unterschiedlichen Verkehrsmittel miteinander stärker verzahnen. Der Sonderfahrdienst wird erhalten und zusätzlich werden wir die Einführung von Inklusionstaxen fördern. Wir wollen, dass Ende 2021 etwa 800 Taxen zu multifunktionalen, barrierefreie Taxen umgerüstet sind. Die Koalition wird den barrierefreien Ausbau des ÖPNV fortführen und ausweiten, u. a. werden wir mit der Einführung sprechender Busse und Bahnen beginnen. Die Mobilitätshilfsdienste werden über ein Landesprogramm abgesichert und auch der VBB Begleitservice wird erhalten.
Wir wollen für mehr Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden und im Wohnungsbau sorgen und deshalb werden wir die Berliner Bauordnung erneut novellieren. Die Koalition hat sich darauf verständigt, dass beim Wohnungsbau der landeseigenen Wohnungsunternehmen ein Schwerpunkt auf dem Bedarf an bezahlbaren, kleinen, altersgerechten oder barrierefreien Wohnungen sowie betreuten Wohnformen liegt. Und wir wollen dazu beitragen, dass die Barrierefreiheit auch in den Bestandwohnungen der landeseigenen Unternehmen ausgeweitet wird.
Barrierefreiheit ist auch für die wohnortnahe Infrastruktur, wie z. B. Stadtteilzentren, zentral. Dies wollen wir anpacken und wir wollen auch die barrierefreien Angebote hier und in der Kultur sowie im Sport ausbauen.
Ein weiteres wichtiges Ziel ist das inklusive Wahlrecht, so dass alle Menschenmit Behinderungen an Wahlen teilnehmen können. Deshalb wird die Koalition das Landeswahlgesetz ändern.
BBZ: Gibt es Punkte, auch aus dem Wahlprogramm, die DIE LINKE nicht in den Koalitionsvertrag hineinverhandeln konnte?
Elke Breitenbach: Nicht im Bereich Inklusion, allerdings mussten alle Verhandlungspartner immer wieder Kompromisse finden und eingehen. Ich persönliche hätte mir eine deutlichere Positionierung und klare Ablehnung zum Bundesteilhabegesetz gewünscht, auch hier haben wir einen Kompromiss gefunden.
BBZ: Was wird r2g tun, um unserer Forderung: „Nichts über uns ohne uns!“ in den kommenden Jahren besser Rechnung zu tragen?
Elke Breitenbach: Unser Koalitionsvertrag ist unter anderem so lang, weil wir deutlich aufgezeigt haben, wie und an welchen Punkten wir mit Vereinen, Verbänden und der Zivilgesellschaft gemeinsam Politik entwickeln wollen. Wir haben z. B. im Bereich Inklusion festgelegt, dass das Mobilitätskonzept in Zusammenarbeit mit dem Fahrgastbeirat entwickelt werden muss. Das ressortübergreifende Konzept zur Umsetzung der behindertenpolitischen Leitlinien soll in Koordinierung mit dem Beauftragten für Menschen mit Behinderung, dem Landesbehindertenbeirat und den Arbeitsgruppen „Menschen mit Behinderung“ in den Senatsverwaltungen entstehen. Wir wollen diese Stadt gemeinsam entwickeln und wir hoffen, dass sich daraus auch eine Selbstverständlichkeit entwickelt.
Unsere Koalitionsvereinbarung zeigt, dass wir die Forderung „Nichts über uns ohne uns!“ ernst nehmen und sie zur alltäglichen Politik machen wollen. Inklusion und die Vielfalt der Gesellschaft ist unsere Leitidee für die Gesellschaft und mit der Umsetzung will r2g beginnen.
BBZ: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg bei den künftigen Aufgaben.
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