Mobilität: „Deutschland braucht Gesetze für Inklusion und Barrierefreiheit“

von: Dominik Peter

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Die sogenannten Londoner Black Cabs sind allesamt barrierefrei.

Unterwegs mal eben die U-Bahn oder ein Taxi nehmen, um von A nach B zu kommen? Für Rollstuhlfahrer ist das in der Regel nicht ohne Planung möglich – zumindest in Deutschland. Doch wie sieht es in anderen Ländern aus?

Christiane Link ist Journalistin und Vortragsrednerin aus London. Seit sieben Jahren lebt sie in der Stadt an der Themse. Die gebürtige Mainzerin ist querschnittgelähmt und daher Rollstuhlfahrerin. REHACARE.de sprach mit ihr über gesetzlich verordnete Barrierefreiheit in Londoner Taxis und was in Deutschland noch zur Barrierefreiheit fehlt.

REHACARE.de: Wenn man in Großbritannien über Mobilität sprechen möchte, kommt man eigentlich nicht an dem Equality Act 2010 vorbei. Frau Link, was genau hat es damit auf sich?

Christiane Link: Der Equality Act verpflichtet seit 2010 alle britischen Unternehmen gesetzlich dazu, angemessene Vorkehrungen zu treffen, um Menschen mit Behinderungen nicht zu diskriminieren. Zuvor gab es schon seit 1995 den Disability Discrimination Act (DDA) der mit dem Equality Act reformiert und erweitert wurde. Seit 1995 ist auch die Privatindustrie zur Barrierefreiheit verpflichtet, was in Deutschland nach wie vor nicht in diesem Umfang der Fall ist. Es wurden Übergangsfristen von beispielsweise fünf Jahren gesetzt, um die barrierefreie Anpassung entsprechend umzusetzen. Oft reicht sogar schon eine mobile Rampe, die ein Geschäftsinhaber an eine Stufe legt, wenn ein Kunde im Rollstuhl kommt. Diese Verpflichtung angemessene Vorkehrungen zur Barrierefreiheit zu schaffen, macht sich in meinem Alltag ständig bemerkbar.

REHACARE.de: Stichwort (Auto-)Mobilität: Welche Mobilitätsmöglichkeiten haben Menschen mit Behinderung in Großbritannien?

Link: Da gibt es tatsächlich einige Optionen. Zum Beispiel gibt es ein sehr interessantes Leasing-Programm für behinderte Menschen: Bei Motability haben sich diverse Autohersteller zusammengeschlossen und bieten preisgünstig barrierefreie Autos zum Leasing an. Derzeit haben rund 600.000 behinderte Menschen ein Fahrzeug über das Programm geleast. Die einzige Bedingung ist, dass man einen gewissen Grad der Behinderung haben muss, damit man Zugang zu dem Programm hat. Auch die Versicherung, ein eventuell notwendiger Pannendienst oder Werkstattleistungen sind im Preis mit inbegriffen. Man behält das Auto meistens für drei Jahre und bekommt dann ein Neues.

REHACARE.de: Welche Chancen hat man denn als Rollstuhlfahrer, relativ spontan in London ein Taxi zu bekommen?

Link: Die sogenannten Londoner Black Cabs sind allesamt barrierefrei. Das ist gesetzlich so vorgeschrieben. Niemand bekommt eine Zulassung, wenn das Fahrzeug nicht bestimmte Anforderungen an die Barrierefreiheit erfüllt. Alle 24.000 Fahrzeuge haben zum Beispiel eine Rampe. In jährlichen Untersuchungen, wenn die Lizenz erneuert wird, wird überprüft, ob das Fahrzeug allen Anforderungen an die Barrierefreiheit genügt. Wird ein Taxifahrer etwa mit einer nicht funktionierenden Rampe erwischt, bekommt er ein Bußgeld. Geschieht das zu häufig, kann der Fahrer sogar seine Lizenz verlieren.

REHACARE.de: Diese strikte Regelung gilt aber nur für Londoner Taxen.

Link: Richtig, im Rest von Großbritannien sieht es ganz anders aus. Aber London ist durch diese Regelung die einzige Stadt weltweit, die über eine komplett barrierefreie Taxiflotte verfügt. Nach anfänglichen Widerständen erkannte man schnell, dass der barrierefreie Taximarkt ein lukratives Geschäft ist, zumal hier die normalen Black Cabs de facto wie Fahrdienste operieren. Ich habe zum Beispiel eine Taxicard, mit der ich etwa zum Preis einer U-Bahnfahrt Taxi fahren kann. Die Differenz zum Normalpreis zahlt meine Londoner Gemeinde.

London ist die einzige Stadt weltweit, die über eine komplett barrierefreie Taxiflotte verfügt;

REHACARE.de: Wie sieht denn die Situation mit öffentlichen Verkehrsmitteln generell aus?

Link: Es gibt etwa 10.000 Busse in London, die alle barrierefrei sind. Außerdem ist etwa ein Viertel der U-Bahn-Stationen und etwa die Hälfte der Overground-Stationen barrierefrei. Außerdem ist ein Teil der Fernbusse im Land barrierefrei.

REHACARE.de: Sie leben seit sieben Jahren in London und sind aber auch regelmäßig in Deutschland unterwegs. Wie beurteilen Sie die Barrierefreiheit in Sachen Mobilität in beiden Ländern im direkten Vergleich?

Link: Deutschland ist beim Umbau der Bahnhöfe deutlich weiter als Großbritannien. Die Briten denken da generell eher kurzfristig, während die Deutschen vorausschauend planen.

Das Berliner U-Bahn-System finde ich übrigens klasse. Als ich erst vor Kurzem wieder dort war, waren die U-Bahn-Fahrer sehr hilfsbereit, freundlich und motiviert, wie ich es selten erlebe. Aber ähnlich wie in London ist die Hauptstadt eine ganz andere Welt im Vergleich zum Rest des Landes.

Wenn man vom öffentlichen Nahverkehr absieht, halte ich Großbritannien aber für barrierefreier als Deutschland, was sicher auch mit der Gesetzeslage zu tun hat. Es gibt viel mehr barrierefreie Einrichtungen, Toiletten und Zugänge. Das war einer der Gründe, warum ich mich entschieden habe, hier zu bleiben.

REHACARE.de: Wie ist die Situation in anderen Ländern?

Link: In New York sollen jetzt immerhin 50 Prozent der Taxen barrierefrei werden. Bei der U-Bahn sieht es ähnlich bescheiden aus wie in London. Kalifornien hingegen ist recht barrierefrei. Auch öffentliche Toiletten sind in den USA in der Regel gut zugänglich für Rollstuhlfahrer. Von Stockholm in Schweden war ich in Bezug auf die Barrierefreiheit relativ enttäuscht. Norwegen fand ich ganz okay. In Europa ist aber vor allem Großbritannien wirklich sehr weit vorne.

REHACARE.de: Was wünschen Sie sich in Sachen Barrierefreiheit und Mobilität für die Zukunft?

Link: Generell bräuchte Deutschland bessere Gesetze und ein Gesamtkonzept für Inklusion und Barrierefreiheit. Es gibt Bereiche, die sind schon ganz gut geregelt, aber bei vielem fehlt es einfach. Behinderte Menschen brauchen ein vernünftiges Klagerecht bei Diskriminierung und fehlender Barrierefreiheit. Außerdem muss man mal anfangen zu überlegen, wie man Verbesserungen im Baubestand erreichen kann. Dass Neubauten barrierefrei werden muss eine Selbstverständlichkeit sein, aber es muss auch möglich sein, im Bestand Änderungen durchzusetzen, sonst bleiben behinderte Menschen für Jahrzehnte ausgeschlossen.

 

Quelle: Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Rehacare.de