Nachbesserungen zwingend notwendig!

Protestaktionen gegen das geplante Bundesteilhabegesetz

von: Berliner Behindertenzeitung

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Gegen das geplante Bundesteilhabegesetz regt sich immer mehr Protest. Verbände, Interessenvertreter und Aktivisten warnen vor Leistungskürzungen und Verschlechterungen für viele Menschen mit Behinderung und fordern eine Nachbesserung des aktuellen Gesetzesentwurfs.

»Der Regierungsentwurf für ein Bundesteilhabegesetz muss dringend nachgebessert werden. Das wichtigste behindertenpolitische Reformvorhaben dieser Legislaturperiode darf in der vorliegenden Form so nicht Gesetz werden«, fordert Ulrike Mascher, Vorsitzende des Sprecherrats des Deutschen Behindertenrats (DBR).

»Entsprechend den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention muss das Ziel des Gesetzes die volle und wirksame Teilhabe von Menschen mit Behinderung an der Gesellschaft sein«, fordert Mascher. Stattdessen sieht der DBR im Regierungsentwurf trotz positiver Ansätze weiterhin die Gefahr von Verschlechterungen gegenüber der bestehenden Rechtslage.

Inakzeptabel seien vor allem Einschränkungen des leistungsberechtigten Personenkreises, Leistungsausschlüsse oder -einschränkungen, die grundsätzliche Beibehaltung der Einkommens- und Vermögensgrenzen für Menschen mit Behinderung, der Vorrang der Leistungen der Pflegeversicherung und der Hilfe zur Pflege vor Leistungen der Eingliederungshilfe sowie die Aushöhlung des Grundsatzes »ambulant vor stationär« beziehungsweise des Wahlrechts von Menschen mit Behinderung, etwa beim Wohnen. So sei nicht hinnehmbar, dass das fundamentale Menschenrecht der freien Wahl von Wohnort und Wohnform nicht nur immer noch nicht realisiert, sondern sogar eingeschränkt werde.

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Für den 22. September rief Ability Watch, ein Zusammenschluss behinderter Menschen, die sich bundesweit für gleichberechtigte Teilhabe, Barrierefreiheit und ein selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen starkmachen, zu einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor unter dem Motto »We are watching you« auf. Dort wurde die erste Lesung des geplanten Teilhabegesetzes im Bundestag live übertragen.

Konkret kritisieren die Aktivisten unter anderem, dass sich die Regierung weigert, Menschen mit Behinderung zuzusichern, dass sie nicht zum Leben in einem Heim gezwungen werden können. »Das Gesetz muss den Betroffenen garantieren, dass sie ihre Wohnform frei wählen dürfen. Hierzu hat sich Deutschland schon 2009 in der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet. Dennoch wird dies von Ämtern missachtet. Das neue Gesetz muss hier für Klarheit sorgen und behinderten Menschen die Wahlfreiheit zusichern. Stattdessen steht im Entwurf die Kostenabwägung im Vordergrund«, erläutert Nancy Poser, die auch im Forum behinderter Juristinnen und Juristen mitarbeitet.

Das neue Gesetz soll zudem erstmals eine Praxis legalisieren, die Menschen mit Behinderung zum Leben in Zwangsgemeinschaften zwingt, weil sie sich eine Assistenzkraft teilen sollen. »Man muss dann mit wildfremden Menschen sein Leben verbringen, Aktivitäten sind nur in der Gruppe möglich und eine eigene Tagesplanung gibt es nicht mehr«, befürchtet der Berliner Inklusions-Aktivist Raul Krauthausen.

aZudem befürchten die Aktivistinnen und Aktivisten, dass viele Personen gar keine Eingliederungshilfe mehr erhalten werden. »Dass man aufgrund einer Behinderung zwingend Hilfe in einem bestimmten Bereich des Lebens benötigt, genügt nicht mehr. Wenn das Amt einschätzt, dass man damit nicht ausreichend behindert ist, gibt es gar keine Unterstützung mehr«, kritisiert Raul Krauthausen.

Ability Watch übertrug die erste Lesung des Gesetzentwurfs zum Bundesteilhabegesetz im Deutschen Bundestag auf einer Großleinwand vor dem Brandenburger Tor. Da die Regierung sich bislang weigert, das Recht auf eine freie Wahl der Wohnform festzuschreiben, machten die Aktivisten zudem mit Umzugswagen und -kartons symbolisch auf Zwangseinweisungen ins Heim aufmerksam.

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Wissenswertes

Quellen:
Dominik Peter, www.berliner-behindertenzeitung.de www.teilhabegesetz.org.

Der Artikel wurde dem Rundbrief des Paritätischen LV Berlin, September/Oktober 2016 entnommen.