Neuer ABiD-Vorstand gewählt

Dr. Ilja Seifert wurde als Bundesvorsitzender mit 81,5 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt

von: Berliner Behindertenzeitung

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Der neugewählte ABiD-Vorstand. Auf dem Foto fehlt Uwe Hoppe (Landesverband Berlin), der in den ABiD-Vorstand gewählt wurde aber krankheitsbedingt fehlte. Foto: Christian P. Wegener.

Am 08. November fand der XV. Ordentlichen Verbandstag des Allgemeinen Behindertenverband in Deutschland (Kurzform ABiD e.V). in Berlin statt. Im Rahmen des Verbandstag wurde der Bundesvorstand neu gewählt. Mit 81,5 der Stimmen wurde Dr. Ilja Seifert als Bundesvorsitzender im Amt bestätigt. Ferner wurde das neue ABiD-Projekt „Alt werden mit Behinderung“ den Delegierten am Vormittag vorgestellt.

In seinem Rechenschaftsbericht ging Dr. Ilja Seifert auf einige Schwerpunkte und Entwicklungen ein.

Zur behindertenpolitischen Situation in Deutschland

Seit rund einem Jahr hat die BRD wieder eine CDU/CSU/SPD-Regierung. Erstmalig bezog sich eine Koalition in ihrer Regierungsvereinbarung ausdrücklich auf die UN-Behindertenrechtskonvention von 2006. So finden wir an verschiedenen Stellen im Koalitionsvertrag Absichtserklärungen, die uns Hoffnung auf wesentliche Verbesserungen für unsere Teilhabebedingungen machen. Der wichtigste Punkt ist, daß es ein Teilhabegesetz geben soll.
Seitdem – es verging inzwischen immerhin ein ganzes Jahr, also ein Viertel der maximalen Gültigkeit dieser Koalitionsvereinbarung – geschah aber nur sehr wenig. Und nichts, das im Alltag angekommen wäre. Nein. Die Regierung und die sie tragende Koalition wiederholen nur gebetsmühlenartig einen „Zeitplan“. Der sieht vor, daß erst einmal geredet werden soll. Um den Bedarf zu ermitteln. Als ob es noch irgendwo irgendein Erkenntnisproblem gäbe!

Nicht-Diskriminierung, personale Assistenz, Barrierefreiheit

Jeder weiß, daß selbstbestimmte Teilhabe und freie Persönlichkeitsentfaltung drei Voraussetzungen braucht: Neben der Nicht-Diskriminierung und Nicht-Stigmatisierung sind das auf der individuellen Seite die personale Assistenz und auf der kollektiven die Barrierefreiheit. Sowohl das eine wie auch das andere im umfassenden Sinne. Personale Assistenz muß also in allen Lebensbereichen und jeder Lebensphase gegeben sein und anleitende Begleitung ebenso umfassen wie aktivierende Pflege, Entscheidungshilfe und sonstige Nachteilsausgleiche. Barrierefreiheit wiederum ist weit mehr als „Rollstuhlzugängigkeit“. Es geht ebenso um kommunikative und – das wohl zuerst? – um Barrieren in den Köpfen.
Der ABiD unterbreitete schon vor über zehn Jahren ein Konzept für ein Nachteilsausgleichs-Gesetz mit Assistenzsicherungscharakter (NAGAS). Es wurde seinerzeit von einer Arbeitsgruppe unter Leitung unseres stellvertretenden Vorsitzenden Marcus Graubner vorgelegt. Wir halten es in seinen Grundzügen nach wie vor für aktuell. Und stimmen mit allen relevanten Organisationen der Behindertenbewegung darin überein, daß Teilhabeermöglichung unabhängig von sozialer Bedürftigkeit – also einkommens- und vermögensunabhängig – erfolgen muß. Die Fürsorge-Intention der Sozialhilfe (SGB XII) stigmatisiert uns und führt so zu diskriminierender Fremdbestimmung, indem Behördenangestellte uns Leistungen „gewähren“ oder aber vorenthalten. Nicht selten entscheidet sich so nach Gutdünken, wann und wie oft jemand gebadet wird oder ob, wie häufig und wann jemand ins Kino oder einfach nur zu Freunden gehen/rollen darf. Selbst die ehrenamtliche Mitarbeit in Selbsthilfe- und Interessenvertretungs-Organisationen – also beispielsweise in Orts-, Kreis- oder Landesverbänden des ABiD – kann so reglementiert bzw. sogar verhindert werden.

Rechte wahrnehmen, Pflichten erfüllen

Die UN-Behindertenrechtskonvention von 2006 begründet jedoch eine Anspruchs-Situation: Wir haben  R e c h t e! Insbesondere das Recht auf volle und wirksame Teilhabe. Und dabei geht es um Selbstbestimmung und Würde; so, wie es schon unser Verbandsname programmatisch sagt. Nicht Beamte oder „Gutachter“ haben uns unsere Lebensweise vorzuschreiben, sondern wir bestimmen sie – so weitgehend wie nichtbehinderte Menschen auch – selbst. Dabei machen wir auch Unkluges, Fehler und begehen Irrtümer. Aber es sind  u n s e r e  Fehler, unsere Irrtümer. Wir können daraus lernen und/oder müssen die Konsequenzen tragen. So, wie andere auch. Indem wir unsere Rechte wahrnehmen, übernehmen wir auch Pflichten. So, wie andere auch.
Und dabei wissen wir, daß es durchaus auch Menschen gibt, deren Beeinträchtigung sie – nach unserem heutigen Erkenntnisstand – nicht in die Lage versetzt, eigene Entscheidungen zu fällen oder gar ihre Interessen durchzusetzen. Deren „Abhängigkeit“ von Eltern und/oder anderen Betreuungs-Personen ist – nach heutigem Wissensstand – nicht durch klassische Assistenz-Modelle ersetzbar. Also sind ihre Rechte mit Hilfe dieser Bezugspersonen personengenau anzupassen; jedenfalls dürfen sie nicht länger an institutionelle „Paket“-Lösungen gekoppelt und dadurch zusätzlich entmündigt werden.

Erste Schritte mutig gehen

Es zeigt sich, daß wir längst noch nicht für alle Probleme, die bei der Gestaltung einer inklusiven Gesellschaft entstehen, schon eine umfassende Lösung präsentieren können. Das darf uns – und die Regierung! – jedoch nicht davon abhalten, mutig diejenigen Schritte in die richtige Richtung zu gehen, die bereits klar erkennbar vor uns liegen. Je weiter wir vorankommen, je umfangreicher unser Erfahrungsschatz wird, desto eher werden wir auch neue Erkenntnisse gewinnen, daraus Konzepte ableiten und Lösungen finden.

Aktuell konzentriert sich der ABiD auf fünf Hauptforderungen an die Politik:

1. Ein Bundesgesetz, das – einkommens- und vermögensunabhängig – behinderungsbedingte Nachteile so ausgleicht, daß selbstbestimmte Teilhabe zur allgemein üblichen Praxis wird;
2. Verbindliche Regelungen zur Verhinderung neuer Barrieren im baulichen, verkehrlichen und kommunikativen Bereich (gültig sowohl für den öffentlichen als auch den privaten Bereich);
3. Ein auf zehn Jahre angelegtes Investitionsprogramm in Höhe von mindesten einer Mrd €uro/Jahr zur Beseitigung bestehender Barrieren (ebenfalls sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich);
4. Als Sofortmaßnahme im Pflegebereich (SGB XI) die Anhebung der Geld- auf die Höhe der Sachleistungen, um so die assistierende bzw. begleitende Pflege im häuslichen Bereich zu stärken;
5. Um die Beteiligungsrechte der Behindertenselbsthilfe (die ja Beteiligungspflichten der Regierung sind) auf eine verläßliche materielle Basis zu stellen, muß eine langfristige institutionelle Förderung von Interessenvertretern gewährleistet sein (Art. 4 der BRK).

Neben dem ABiD legten auch zwei Landesverbände einen Rechenschaftsbericht vor, die hier heruntergeladen werden können.

Rechenschaftsbericht des ABiD: Rechenschaftsbericht_ABiD

Rechenschaftsbericht des LV Mecklenburg-Vorpommern (PDF): Rechenschaftsbericht_ABiMV

Rechenschaftsbericht des LVSachsen-Anhalt (PDF): Rechenschaftsbericht_ABiSA