Prekäre Wohnungssituation

Suche: behindertengerechte Wohnung in Berlin

von: Von Martin Thoma

20130417_0765 KopieGudrun Stuhlmann ist keine Frau, die schnell aufgibt. Wenn sie davon berichtet, wie schwierig es sein kann, einen passenden neuen Rollstuhl genehmigt zu bekommen, klingt ihre Stimme kampfeslustig und ihre Augen funkeln. Nur beim Thema Wohnungssuche ist sie hörbar ratlos.

146 Wohnungsbe-sichtigungen in einem halben Jahr

Gudrun Stuhlmann leidet unter Rheuma und Osteoporose. Rückenwirbel und Handgelenke sind versteift. Sie hat künstliche Knie und eine unendliche Geschichte von Operationen hinter sich. Als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 100 besitzt sie einen Wohnberechtigungsschein für eine sozial geförderte Wohnung. Nur findet sie keine. Im letzten halben Jahr hat sie 146 Wohnungen in Berlin besichtigt. Sie ist Vermietern begegnet, die bei Interesse an der Wohnung erst einmal eine »Bearbeitungsgebühr« kassieren wollten. Sie hat Wohnungen gesehen, die zwar ebenerdig oder mit Fahrstuhl erreichbar waren und deshalb als behindertengerecht galten, aber Flure hatten, in denen ein Rollstuhl nicht wenden konnte. Eine für sie bezahlbare Wohnung, rollstuhltauglich und mit Balkon hat sie nicht gefunden. Oder doch: eine gab es. In der durfte man die Tapete nicht wechseln und kein Loch in die Wand bohren. Es stellte sich heraus, dass sie asbestverseucht war.

»In einem Posemuckeldorf wäre vielleicht noch was«

Gudrun Stuhlmann wohnt seit 10 Jahren in einer 2-Zimmerwohnung in Dallgow-Döberitz westlich von Berlin. Zurzeit kann sie sich mit Gehhilfen recht gut darin bewegen. Im Rollstuhl wäre das schwieriger: Einige Räume sind eng und durch die Terrassentür in den Garten käme sie dann gar nicht mehr. Trotzdem würde sie hier wohnen bleiben, wenn die Miete nicht erhöht worden wäre. Sie liegt jetzt bei 620 Euro, ihre Rente bei 650. Dazu erhält sie zwar noch eine Witwenrente, doch das reicht nicht.
Steigende Mieten sind auch im Berliner Umland ein Problem. »Falkensee ist noch teurer als Berlin«, weiß Gudrun Stuhlmann. »Auf so einem Posemuckeldorf, wo es nicht einmal einen Laden zum Einkaufen gibt, würde ich vielleicht etwas bekommen. Aber ich muss davon ausgehen, dass meine Gesundheit nicht besser wird und ich möchte mich dann noch möglichst selbständig versorgen können.«

»Ich würde behindertengerechte Sozialwohnungen bauen«

Was ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben für Gudrun Stuhlmann bedeutet, merkt man, wenn sie extra ihren neuen Rollstuhl aus dem Auto holt und vorführt. Mit ihm fühlt sie sich wieder sicherer, auch einmal alleine wegzufahren, ohne Angst vor Stürzen. Man merkt es auch, wenn sie von ihrem Engagement in der Rheuma-Liga erzählt, der sie seit 1992 angehört. Oder an ihrem Bedauern, den Garten nicht mehr nutzen zu können – ein Grund dafür, dass sie in ihrer neuen Wohnung wenigstens einen Balkon haben möchte. »Wenn ich entscheiden könnte«, sagt Gudrun Stuhlmann, »würde es Auflagen geben, dass bei Neubauten behindertengerechte Sozialwohnungen gebaut werden müssen. Es betrifft ja nicht nur mich: die Menschen werden immer älter.«