Für Menschen mit einer schwerwiegenden oder chronischen Erkrankung kann es sinnvoll sein, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. „Soviel Offenheit und Verständnis wie in einer Selbsthilfegruppe ist im professionellen System des Gesundheitswesens kaum zu finden“, ist Hilde Schulte überzeugt. Sie engagiert sich seit 1993 in der Frauenselbsthilfe nach Krebs e.V., einer der größten und ältesten Krebsselbsthilfeorganisationen Deutschlands. Von 2003 bis 2009 war sie die Bundesvorsitzende dieser wichtigen Vereinigung, die für Männer ebenso offen ist, wie für Frauen.
Sich selbst helfen
Es sind so viele Fragen, die auf Patien- ten und ihre Angehörigen einstürmen, wenn sie plötzlich mit einer schwerwiegenden Diagnose konfrontiert sind. Wo kann ich mich am besten behandeln lassen? Wie wird sich mein Leben durch die Erkrankung verändern und wie kann ich das bewältigen? Das alles sind Fragen, die professionelle Helfer oft nicht beantworten können. In Selbsthilfegruppen gibt es ein großes Wissen und einen reichen Erfahrungsschatz, den die Mitglieder gerne an Andere weitergeben. „Selbsthilfe zu nutzen, kann Orientierung und Lichtblick sein“, weiß Hilde Schulte aus eigenem Erleben.„Aber es hat auch was mit der Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger zu tun. Ein alter Grundsatz der Selbsthilfe lautet nämlich: Nichts über mich ohne mich. Und in einer Selbsthilfegruppe kann man sich auch fit machen, um besser im Gesundheitssystem zurechtzukommen“, ist die heutige Ehrenvorsitzende der Frauenselbsthilfe nach Krebs überzeugt.
Anderen helfen
Der Wert der Selbsthilfe geht heute über die Hilfestellung für den Einzelnen hinaus. Seit Anfang 2000 ist die Selbsthilfe in ärztlichen Gremien vertreten, in denen wissenschaftlich begründete Handlungsanweisungen für Ärzte, so- genannte Leitlinien erstellt werden. Dort bringen Patientenvertreter ihre Erfahrun- gen in die Behandlungsempfehlungen ein wie bei Nationalen Versorgungsleitlinien (www.versorgungsleitlinien.de) oder onkologischen Leitlinien (www.leitlinien-programm-onkologie.de). Auch im Gemeinsamen Bundesausschuss, einem Gremium, das festlegt, welche Behandlungen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden, haben Patienten das Recht, gehört zu werden. „Selbsthilfe hat lange Zeit nur die Mängel im System ausgeglichen und ist dort eingesprungen, wo das professionelle Gesundheitssystem versagt hat. Heute nimmt Selbsthilfe Einfluss auf die Gestaltung des Gesundheitssystems“, erklärt Hilde Schulte. Sie war selbst an der Erstellung von ärztlichen Leitlinien beteiligt und hat als Patientenvertreterin in Kommissionen mitgearbeitet, die die Qualität medizinischer Einrichtungen zertifizieren. Viele Selbsthilfeorganisationen bieten Fortbildungen an zu medizinischen Fragen aber auch dazu, wie man andere Patienten und Angehörige gut beraten kann. Manche Menschen fürchten, dass Selbsthilfe von den Interessen kommerzieller Anbieter beeinflusst wird. Wenn man sich einer Selbsthilfeorganisation oder Gruppe anschließt, sollte man sich daher immer erkundigen, wie diese Gruppe mit kommerziellen Sponsoren umgeht und welche Einflussnahme erlaubt oder verboten ist. Selbsthilfe ist‚kein Kaffeeklub für Weicheier’, die mit ihrer Erkrankung nicht alleine klar kommen. Selbsthilfe kann durch die geteilten Erfahrungen das Wissen des Einzelnen über Erkrankungen und Bewältigungen entscheidend erweitern. Wer nicht nur seine eigene Situation verbessern möchte, sondern auch das Gesundheitssystem, der findet in der Selbsthilfe ebenfalls einen guten Partner!