Dominik Peter (51 Jahre) ist seit 2013 Vorsitzender des Berliner Behindertenverbandes e.V. (Kurzform BBV) und seit November Stellv. Vorsitzender der Parität Berlin. Die BBZ sprach mit ihm über seine Rolle, Ansichten und Erfahrungen.
BBZ: Herr Peter, wie sieht es derzeit um die Behindertenpolitik aus?
Peter: Naja, der Gesamtverband der Parität hat kürzlich eine Stellungnahme unter dem Begriff „Denkzettel“ veröffentlicht, hinter der ich voll stehe. Darin werden Missstände offen benannt (Anmk. der Redaktion: siehe hierzu Seite 5). Der Geist der UN-BRK und der seither gebrauchte Begriff „Inklusion“ hat bei vielen von uns Optimismus und eine positive Dynamik ausgelöst. Doch die damit verbundenen Erwartungen, die geweckt wurden, konnten bisher bei weitem nicht erfüllt werden. Bestes Beispiel hierfür ist die derzeitige Neugestaltung des Behindertengleichstellungsgesetzes. Hier springt die Bundesregierung bei weitem nicht weit genug. Dafür kassiert sie zu Recht massive Kritik aus allen Bereichen der Behindertenpolitik und von den Sozialverbänden. Selbst aus den eigenen Reihen wird heftig Kritik geübt. So zum Beispiel durch Verena Bentele, die Bundesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen.
BBZ: Was verstehen Sie denn unter dem Begriff Inklusion?
Peter: Inklusion ist die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung in allen gesellschaftlichen Bereichen. Auf dieser Basis werden für Menschen mit Behinderung die gleiche Qualität und der gleiche Standard in den jeweiligen Lebensbereichen erwartet, wie ihn Menschen ohne Behinderung ganz selbstverständlich genießen. Daher muss sichergestellt werden, das der individuelle Bedarf, sowie Unterstützungsleistungen, die der jeweiligen Lebenssituation von Menschen mit Behinderung angepasst sind, zur Verfügung stehen – und das nicht nur in der Schule, an der Uni und im Arbeitsleben, sondern in gleichem Maße bei der Freizeitgestaltung oder bei der Ausübung eines Ehrenamtes.
BBZ: Wie sieht die politische Arbeit des BBBV aus, um Inklusion zu verwirklichen?
Peter: Der BBV nutzt in erster Linie die vorgegebenen Strukturen. Unsere aktiven Mitglieder vertreten den Verein und unsere Interessen unter anderem in den AG´s bei den Senatsverwaltungen oder in den Behindertenbeiräten der Bezirke. Ich selbst vertrete den Verein unter anderem im Landesbehindertenbeirat und in einigen AG´s. Dies ist einerseits ja gut. Doch darf man nicht vergessen, dass all diese Gremien bestenfalls beratend sind. Echte Befugnisse haben sie meistens nicht. Zudem sehe ich schon eine Tendenz, dass das, was in diesen Gremien erarbeitet wird, immer weniger Berücksichtigung findet. Diese „Proforma-Mitsprache“ erweckt nicht nur bei mir zunehmend den Eindruck, dass die Behindertenbewegung zu Tode partizipiert werden soll. Frei nach dem Motto “Haltet sie nur schön beschäftigt, dann kommen sie nicht auf dumme Gedanken“. Ich finde, wir müssen höllisch aufpassen, dass die Partizipation von Menschen mit Behinderung nicht zum zahnlosen Papiertiger verkommt.
BBZ: Welche große Aufgaben stehen zur Zeit an, über die sie sich Gedanken machen?
Peter: Zunächst ist da die Novellierung der Berliner Bauordnung. Ein Entwurf liegt dem Senat vor und bald werden sich die Abgeordneten wohl damit beschäftigen dürfen. Ich habe hierzu viele Termine wahrgenommen und Veranstaltungen besucht – unter anderem auch bei Fraktionen des Landtags – und auf die wirklich wichtigen Kernpunkte einer neuen Bauordnung hingewiesen. Doch wir werden von der jetzigen Regierungskoalition kein Wahlgeschenk erwarten können. Schon jetzt wird versucht, uns wirklich olle Kamellen als innovativen Fortschritt zu verkaufen.
BBZ: Und was steht noch an?
Peter: Das Landesgleichberechtigungsgesetz steht ebenfalls zur Überarbeitung an. Doch nur ein paar Schönheitskorrekturen reichen mir da nicht. Einfach etwas Botox in die Paragraphen spritzen ist mir nicht genug. Genau wie bei der Bauordnung gibt es wichtige Paragraphen, die dringend überarbeitet werden müssen. Dazu gehört natürlich der Paragraph 15, der das „Außerordentliche Klagerecht“ regelt. Zudem hat uns die Monitoring-Stelle, die beim Institut für Menschenrechte angesiedelt ist, eine hervorragende Vorlage erarbeitet. Dabei sind aus meiner Sicht zwei Punkte besonders wichtig. 1. Der Behindertenbegriff muss dringend überarbeitet werden und umfassender sein. 2. Viele Behinderungsarten fallen immer wieder unter den Tisch. Dabei denke ich beispielsweise an Seh- und Hörbehinderte Menschen. Auch diese Gruppen müssen stärker im Landesgleichberechtigungsgesetz berücksichtigt werden.
BBZ: Wird das neue Landesgleichberechtigungsgesetz noch in diesem Jahr kommen?
Peter: Das glaube ich eigentlich nicht. Bald fängt der Wahlkampf in Berlin an. Erste heftige Schlagabtausche finden ja bereits statt. Schließlich wird am 18. September in Berlin ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Die jetzige Koalition darf sich glücklich schätzen, wenn sie bis dahin die Bauordnung vom Tisch hat. Nach den Wahlen wird es erst einmal Monate dauern, bis die neue Regierung steht und vor allem bis die neuen Senatorinnen und Senatoren eingearbeitet sind.
BBZ: Die „Neuen“?
Peter: Naja, es kann passieren, dass es eine andere Koalition gibt, als die jetzige SPD/CDU-Regierung. Darauf muss man sich immer bei Wahlen einstellen. Immerhin gibt es in Berlin mit Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE zwei nicht gerade „kleine“ und vorallem ernstzunehmende Oppositions-Parteien. Was mit den Piraten passieren wird, bleibt abzuwarten.
BBZ: Sie kennen sich in der politischen Landschaft, aber auch bei den Gesetzesvorlagen ja gut aus, oder?
Peter: (Lacht) Ich denke schon, dass etwas von meinem Politikstudium an der Freien Universität hängen geblieben ist.
BBZ: Wir bedanken uns für das Gespräch.
INFOS: Werdegang Dominik Peter
-Seit 2010 Mitglied des Berliner Behindertenverbandes (BBV);
-Seit 2010 Mitglied im Behindertenbeirat von Pankow (seit 2011 Stellt. Vorsitzender);
-Seit 2011 Vorstandsmitglied des BBV;
-Seit 2012 Vorstandsmitglied Parität Berlin;
-2012: Gründungsmitglied von Inclusio Medien e.V.;
-Seit 2013 Vorsitzender des BBV (Wiederwahl erfolgte im Juni 2015);
-Im November 2015 erneute Wahl in den Vorstand der Parität (Landesverband Berlin) und Wahl zum Stellvertretenden Vorsitzenden.