Wer anders denkt verändert die Welt

Eine Geschichte über den Kampf gegen Diskriminierung

von: Von Carola Lymants

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Cover: Schreien nützt nichts

Kinder können grausam sein. Wenn sie Horst Wagner begegnen, verspotten sie ihn. „Dummer Horsti“ rufen sie hinter ihm her. Er kann sie nicht hören. Mit drei Jahren erkrankte Wagner an Mumps. Seither ist er gehörlos und hat spastische Lähmungen.

Eine Insel der Stille

Wie Horst Wagner geht es vielen gehörlosen Menschen. Seltsamerweise gelten gehörlose Menschen bis in unsere fortschrittliche Zeit hinein oft als dumm. So beschreibt es Helene Jarmer in ihrem Buch „Schreien nützt nichts“, das im Südwest–Verlag erscheint. Sie selbst muss in ihrem Leben viele Hürden überwinden, damit sie „gehört“ wird. Im Alter von zwei Jahren hat sie einen schweren Unfall, bei dem sie ihr Gehör verliert. Da ihre Eltern ebenfalls gehörlos sind, können sie Helene auffangen, ihr helfen, ihr Leben zu gestalten.

Von Anfang an erziehen Jarmers Eltern sie bilingual (zweisprachig). Sie erlernt die Gebärdensprache und die Lautsprache. Ihre Eltern suchen zunächst Kindergärten und später Schulen aus, in denen sie die Möglichkeit hat, beide Sprachen zu vertiefen. Jarmer stellt sich allen Herausforderungen. Ihr hilft es, in der Gehörlosen-Community mit anderen Menschen, die in der Stille leben, einen regen Austausch zu pflegen. Jarmer sagt, dass „die Stille ein selbstverständlicher Teil ihres Lebens“ ist. Für sie ist die „Gehörlosigkeit positiv besetzt“, wie sie schreibt, „sie ist wie eine Insel ohne Lärm“.

Der erste Eindruck täuscht

Jarmer ist alles andere als still. In ihrem Leben hat sie viele Arten von Diskriminierung erlebt, und sie hat es gelernt, sich zu wehren. Sie ist schlagfertig, ein positiver Mensch, sie reist viel und sie tanzt gerne. Sie kann die Musik zu der sie tanzt nicht hören, aber sie spürt den Rhythmus. Am liebsten tanzt sie Salsa. Jarmer hat einen Intelligenzquotienten von 140 (hochbegabt), und sie ist die erste gehörlose Behindertensprecherin der Grünen im österreichischen Parlament. Sie ist Sonder- und Heilpädagogin und unterrichtete an der Pädagogischen Hochschule in Wien.

Kein stiller Kampf

So wie Jarmer ist, weltoffen, skeptisch und laut, so geht sie durch ihr Leben. Als Kind musste sie lernen sich zu behaupten. Sie hat sich im Laufe des Lebens viele Kompetenzen hart erarbeitet. Ihr Buch ist gesellschaftskritisch angelegt. Das Werk ist Autobiografie und Sachbuch in einem. Der Leser darf sie durch ihr Leben begleiten, und wird gleichzeitig über die Problematik gehörloser Menschen aufgeklärt. Beim Lesen des Buches freut man sich mit der Autorin über ihr geglücktes Leben, gleichzeitig ist man betroffen über die Ignoranz unserer Gesellschaft behinderten Menschen gegenüber.

Die Diskriminierung von Menschen mit Handicap, besonders Gehörloser, ist noch lange nicht ausgestanden. In Helene Jarmer hat die Gehörlosen-Community eine engagierte Kämpferin gefunden.

Fazit: Dieses Buch hat viel Potential, wie die Autorin selbst. Der Leser wird auf vielen Ebenen angesprochen und für die Sache der Gehörlosen interessiert und begeistert. Viele Fotos aus dem Privatleben Jamers frischen das Buch auf. Die zahlreichen Zeichnungen zur Gebärdensprache wecken den Wunsch, diese Sprache zu lernen und zu leben.