Fragen an Senator Czaja zu Arbeitsplätze und Wohnraum für behinderte Menschen
BBZ: Herr Senator Czaja, als Sie ihr Amt übernommen haben, haben wir mit Ihnen ein Interview geführt. Damals benannten Sie als einen Schwerpunkt ihrer Arbeit, die schrittweise Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Wie sind Sie mittlerweile vorangekommen?
Ein großes Stück. Denn der Senat hat inzwischen einen Aktionsplan beschlossen, der die zehn behindertenpolitischen Leitlinien in konkrete Ziele und Maßnahmen übersetzt, mit denen das Land Berlin die UN-Behindertenrechtskonvention bis zum Jahr 2020 nachhaltig umsetzen will. Damit sind wir – auch im bundesweiten Vergleich – auf dem richtigen Weg. Und was mir ganz wichtig ist: Auf allen Ebenen dieses Prozesses waren und sind Menschen mit Behinderung aktiv beteiligt. Die geplanten Maßnahmen betreffen auch die Verwaltung selbst. Es gibt jetzt in den Senatsverwaltungen zentrale Stellen, die die Umsetzung der UN-Konvention koordinieren und überwachen. Ziel ist es, die Führungskräfte und Mitarbeiter für Barrierefreiheit zu sensibilisieren und Inklusion im Sinne eines „design for all“ in der Verwaltungsarbeit umzusetzen. Dabei verstehen wir Barrierefreiheit umfassend – von Informationsbroschüren in leichter Sprache bis zu Rollstuhlrampen vor Wahllokalen.
Wer mehr dazu wissen will – der vollständige Aktionsplan ist nachzulesen unter: https://www.berlin.de/lb/behi/_assets/veroeffentlichungen/aktionsplan_berlin.pdf.
Und auch das Gesetzgebungsverfahren ist im Gange. Das „Projekt: Monitoring-Stelle Berlin“ hat inzwischen alle Gesetze, Verordnungen und Vorschriften im Land Berlin auf die Vereinbarkeit mit der UN-Behindertenrechtskonvention überprüft. Die Ergebnisse dieser Normenprüfung sind auf der Homepage des Projektträgers, des Deutschen Instituts für Menschenrechte, veröffentlicht und wurden bereits mit den jeweils zuständigen Senatsverwaltungen diskutiert. Auf dieser Grundlage bereitet mein Haus jetzt ein Artikelgesetz vor, in dessen Mittelpunkt die Änderung des Landesgleichberechtigungsgesetzes (LGBG) steht.
BBZ: Seit 2003 vergibt das Land Berlin jährlich den Inklusionspreis an Berliner Arbeitgeber. Die Arbeitslosenzahlen unter Schwerbehinderten ist in Berlin nach wie vor hoch. Was können Sie als Sozialsenator hier bewirken? Haben Sie Pläne?
Der Berliner Inklusionspreis ist ein wertvoller Beitrag auf dem Weg zu mehr Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben. Die Bewerber zeigen seit Jahren beispielhaft, wie die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen gelingen kann und dass sie in vielen Berliner Betrieben bereits Teil des Unternehmensalltags ist. Was mir persönlich besonders gefällt: Diese guten Beispiele zeigen anderen Unternehmen, was alles möglich ist, und regen zum Nachmachen an. Damit mehr Menschen mit Handicap sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden können, investiert Berlin aber auch in strukturelle Maßnahmen, z. B. die Umsetzung des Bundesarbeitsmarktprogramms „Initiative Inklusion“. Schwerbehinderte Beschäftigte bekommen individuelle Förderung vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) und von den zuständigen Trägern der Rehabilitation. Jugendliche mit einer geistigen oder seelischen Behinderung sowie Menschen mit einer schweren Sinnes-, Körper-, oder Mehrfachbehinderung, die nur geringe Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben, werden in Berlin in vielen Integrationsprojekten ausgebildet, beschäftigt und arbeitsbegleitend betreut. Allerdings kann und muss hier noch mehr getan werden. Als Sozialsenator ist es mir wichtig, dass die Berliner Arbeitswelt sich noch stärker für Menschen mit Behinderung öffnet. Hier setzen wir auch auf bessere Aufklärung der Arbeitgeber. Es gibt zwar zahlreiche Fördermöglichkeiten für Unternehmen im Land Berlin, die behinderte Menschen beschäftigen, nur sind sie vielen Arbeitgebern oft nicht bekannt. Deshalb hat das Landesamt für Gesundheit und Soziales speziell für diese Zielgruppe ein Bildungsseminar entwickelt, das die existierenden Fördermöglichkeiten der Reha-Träger und des Integrationsamtes vorstellt und über die Rechte und Pflichten schwerbehinderter Menschen am Arbeitsplatz informiert.
BBZ: In Berlin fehlen rund 41.000 barrierefreie und barrierearme Wohnungen. Zudem trifft uns in den kommenden Jahren der demografische Wandel. Sie kennen die Forderungen des Berliner Behindertenverbandes bezüglich der Novellierung der Berliner Bauordnung. Demnach fordern wir volle Barrierefreiheit und nicht irgendwelche Kompromisse. Wie ist Ihre Haltung?
Der demografische Wandel stellt auch den Wohnungsbau vor große Herausforderungen. Die bereits erwähnte Monitoring-Stelle des Deutschen Institutes für Menschenrechte hat im Rahmen ihrer Normenprüfung auch die Berliner Bauordnung unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse haben wir in meiner Verwaltung zusammen mit dem Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung umfassend diskutiert. Unterm Strich lautet das Ergebnis: Die Berliner Bauordnung muss aus senioren- und behindertenpolitischer Sicht geändert und erweitert werden. Und natürlich brauchen wir eindeutig mehr barrierefreien Wohnraum. Darüber hinaus sollten auch Wohnungen, die grundsätzlich barrierefrei erreichbar sind – z. B. in Erdgeschosslage oder in Gebäuden mit Aufzug – im Alter oder bei Eintritt einer Behinderung des Mieters durch einfache Umbaumaßnahmen barrierefrei hergerichtet werden können. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass wir es schaffen, in der neuen Berliner Bauordnung den verpflichtenden Anteil an barrierefreiem Wohnraum bei Neubauten deutlich zu erhöhen. Wie hoch dieser Anteil genau ausfällt – darüber führen wir derzeit noch Verhandlungen mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.
BBZ: Eine große Mehrheit der Pflegekräfte in Berlin befürwortet die Gründung einer Pflegekammer. Wie stehen Sie als Sozialsenator dazu?
Ich bin überzeugt, dass sich eine Pflegekammer auf verschiedenen Ebenen positiv auf die Situation der Pflege in Berlin auswirken wird. Zum einen hätten Pflegefachkräfte dadurch erstmals – wie bei anderen Berufsgruppen längst üblich – eine eigene fachliche Interessenvertretung, die sich der Probleme und Herausforderungen in der Pflege annimmt: von der dringend nötigen Verbesserung der Vergütung bis hin zur fachlichen Qualifizierung. Zum anderen würde sie die Außenwahrnehmung des Berufsstandes deutlich verbessern und dazu beitragen, die verschiedenen Berufsfelder in der Pflege attraktiver zu machen. Dann werden sich auch in Zukunft immer mehr junge Menschen für einen Pflegeberuf entscheiden. In der Altenpflege verzeichnen wir in Berlin erfreulicherweise seit Jahren steigende Ausbildungszahlen. Doch wir müssen weiter dran bleiben, denn durch die demografische Entwicklung brauchen wir weiterhin viele neue Pflegekräfte, Tendenz steigend. Insofern hätte eine Pflegekammer auch aus Sicht pflegebedürftiger Menschen einen positiven Effekt. Übrigens hält auch die Mehrheit der Pflegekräfte in Berlin eine Pflegekammer für eine gute Sache. In einer aktuellen Studie, die mein Haus dazu in Auftrag gegeben hat, haben sich fast 60 Prozent der Befragten für die Gründung einer Pflegekammer ausgesprochen.
BBZ: Die Berliner Behindertenzeitung feiert dieses Jahr ihr 25-jähriges Bestehen. In dieser Zeit haben wir auch Ihre Tätigkeiten konstruktiv kritisch begleitet. Was bedeutet eine BBZ für Sie?
Gerade in der behindertenpolitischen Arbeit geht es immer auch darum, auszuloten, ob ein in der Theorie gut durchdachtes Gesetz im Alltag der Menschen auch wirklich funktioniert. Welche gesetzlichen Regelungen haben sich bewährt und führen tatsächlich zu mehr Lebensqualität, Autonomie und sozialer Teilhabe? Wo hat eine Verwaltungsvorschrift einen blinden Fleck, der sich erst im Alltag offenbart? Hierfür brauchen wir die Berliner Behindertenzeitung als kritischen Begleiter.
BBZ: Herr Senator, besten Dank für das Interview.