„Projekt Wohnheime“, „Umstellungsbegutachtung“, „Hammerschick Projekt“. Diese Begriffe werden derzeit in der Behindertenhilfe im Bereich der Wohnheime für Menschen mit Behinderung diskutiert. Was aber verbirgt sich hinter ihnen? Welche Bedeutung haben sie für die betroffenen Menschen und wie geriet die mitunter auffällige Emotionalität in die derzeitige Debatte?
Die folgenden Ausführungen verschaffen einen Überblick über die Entwicklung des Berliner Systems der Wohnheime für Menschen mit Behinderung (im Folgenden kurz Wohnheime) und verdeutlichen, wo die derzeitigen Dissense zwischen Land, Verbänden, Elternvereinen und den Einrichtungsträgern liegen.
Ausgangslage und Entwicklung
Bis zum Jahr 2000 wurden die inhaltlichen und finanziellen Angebote der Wohnheime zwischen Einrichtungsträgern und dem Land Berlin einzeln verhandelt. Es gab kein einheitliches, verbindliches System. Aus diesen Einzelverhandlungen resultierten Vergütungen, deren Höhe zum Teil stark variierte, weil Träger bei vermeintlich vergleichbaren Leistungsangeboten, Bewohner*innen mit unterschiedlichem Hilfe- und Unterstützungsbedarf betreuten und einrichtungsindividuelle fachliche Konzepte verfolgten.
In 2001 wurde das sogenannte H.M.B.-W.-Verfahren (Hilfebedarfsfeststellung und Einstufung in Gruppen mit vergleichbaren Hilfebedarf-Wohnen) eingeführt und Leistungstypen für Angebote mit interner und externer Tagesstruktur entwickelt. Einrichtungsindividuelle Vergütungen wurden für die einzelnen Einrichtungen budgetneutral umgestellt.
Beim H.M.B.-W-Verfahren handelt es sich um ein in den 1990iger Jahren vom „Zentrum zur interdisziplinären Erforschung der Lebenswelten behinderter Menschen (Z.I.E.L.)“ in Tübingen entwickeltes Hilfebedarfsfeststellungsverfahren für Menschen mit Behinderung im Lebensbereich „Wohnen“. Die Abkürzung steht für „Hilfebedarf von Menschen mit Behinderung – Wohnen“.
In 2006 verabredeten die Verbände mit dem Land Berlin ein Projekt, das die Neukalkulation der Vergütungen bei (unterstellter) gleicher Leistung vorsah. Die interne Tagesstruktur in den Wohnheimen war bis dato weder landeseinheitlich definiert, noch standardisiert oder kalkuliert. Damals bestehende große Preisdifferenzen zwischen einzelnen Angeboten waren nicht erklärbar.
Das „Hammerschick Projekt“ (2007-2009) unter Federführung von Jochen Hammerschick verfolgte daher den Abbau der Spreizung bei den Vergütungen.
So kam es zu der Entwicklung eines Soll-Konzeptes „Wohnen“ und „Tagesstruktur“ mit Unterlegung von Zeitwerten auf Basis von Zeitaufschrieben in 2007, den sogenannten Hammerschickstudien I und II. Wohnheim-interne und externe tagesstrukturierende Angebote sollten so besser voneinander abgegrenzt werden.
Betreuende Mitarbeitende ausgewählter Wohnheime dokumentierten in 2007 bei 1.007 von 2.755 in das Projekt eingebundenen Bewohner*innen an sieben Werktagen, wie viele Minuten am Tag im Bereich Wohnen auf der Ebene der Lebensbereiche an Hilfe und Unterstützung aufgebracht wurden.
Die dokumentierten Zeiten nutzte Herr Hammerschick als Datenbasis und leitete aus den bis dato bestehenden fünf Hilfebedarfsgruppen sechs Leistungsgruppen ab. Die Punktwerte aus dem H.M.B.-W Verfahren wurden in Soll-Zeitwerte ersetzt (Zeitsystematik), sechs Zeitkorridore für die sechs neuen Leistungsgruppen gebildet und leistungsgruppenabhängige Betreuungszeiten (Sollzeiten) vorgeschlagen. Die Zeitsystematik, Zeitkorridore und Sollzeiten bildeten die Grundlage für die entsprechenden Festlegungen in der Leistungsbeschreibung „Wohnen“.
Auf der Systemebene als problematisch erwiesen sich dabei kaum lösbare Zielkonflikte zwischen der Einhaltung der Budgetneutralität, der beschlossenen Beibehaltung des H.M.B.-W-Verfahrens, der Umstellung der Vergütung des Betreuungspersonals auf Basis von Minutenpreisen und der Einführung des 2-Milieu-Prinzips (Trennung von Wohnen und einer (externen) Tagesstruktur für alle Bewohner*innen).
Wie und auf welcher Grundlage die genaue Umstellung von Leistungsminuten auf Minutenpreise und die Bemessung des Befragungszeitraumes von lediglich einer Woche erfolgte, bleibt für die Verbände und das Land Berlin bis heute aufgrund der ungenügenden Dokumentation nicht eindeutig nachvollziehbar.
Unabhängig von den Hammerschickstudien und auf Initiative des Landes Berlin im Frühjahr 2010, verständigten sich Land und Verbände noch im laufenden Jahr eine Umstellungsbegutachtung aller Bewohner*innen der Wohnheimen durchzuführen und damit die aktuelle Hilfebedarfsgruppensystematik nach dem H.M.B.-W-Verfahren mit Punktebewertung in ein H.M.B.-W.-Verfahren mit Zeitbewertung überzuleiten.
Die Beauftragung eines externen Gutachters war vorgesehen, wobei die Verbände davon ausgingen, dass man sich, wie bereits in 2007 bei der Entwicklung des SOLL-Konzeptes, gemeinsam auf einen externen Auftragnehmer verständigen würde.
Auf die EU-weite Ausschreibung folgte lediglich eine Bewerbung der Bietergemeinschaft, bestehend aus der ISG Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH, Transfer – Unternehmen für soziale Innovation (Inhaber: Herr Schmitt-Schäfer) sowie Prof. Erik Weber (Universität Koblenz-Landau).
Die Umstellungsbegutachtung aller mittlerweile rund 3.200 Bewohner*innen erfolgte durch Herrn Schmitt- Schäfer und in der Mehrzahl durch angelernte Studenten aus dem Bundesgebiet innerhalb nur weniger Wochen im Herbst 2010. Vorab wurde ein „Leitfaden zur Anwendung des H.M.B.-W-Verfahrens“ entwickelt. Dieser Leitfaden gibt vor, wie die Begutachtung durchgeführt werden soll und nach welchen Kriterien Hilfebedarfe erhoben werden. Die Begutachtung mit Hilfe des „Schmitt-Schäfer-Leitfadens“ wurde mit den Verbänden nicht diskutiert und ist bis heute umstritten. Um der höchsten Hilfebedarfskategorie zugeordnet zu werden, müssen die Bewohner*innen nach dem „Schmitt-Schäfer-Leitfaden“ sogenannte „S.M.A.R.T Kriterien“ erfüllen (S.M.A.R.T. ist ein Akronym für „spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch, terminiert“ und dient z. B. im Projektmanagement, aber auch im Rahmen der Führung Mitarbeitender und in der Personalentwicklung, als Kriterium zur eindeutigen Definition von Zielen im Rahmen einer Zielvereinbarung).
S.M.A.R.T. Kriterien sind ein Instrument aus dem Management; sie finden beim Führen nach Zielvereinbarungen, beim Coaching oder in der Verhaltenstherapie Anwendung.
Sie bieten sich an, wenn zu erreichende Ziele einfach und ergebnisorientiert sind („4 Kundenanrufe täglich“, „gehe dreimal 30 Minuten Joggen“). Die Zielverfolgung muss mit einer innerlichen Motivation einhergehen, weil sich den Personen der Sinn ihres Handelns erschließt und sie sich dem Ziel verpflichtet fühlen.
Dies auf schwerst-mehrfachbehinderte Menschen und Menschen mit Komorbidität anzuwenden ist nicht möglich, weil die Anwendung der S.M.A.R.T.-Kriterien bezogen auf die Bedarfe diese Menschen (insbesondere Menschen mit schwerstmehrfach Behinderungen, mit Doppeldiagnosen, mit zusätzlichen Verhaltensauffälligkeiten, mit hohem Pflegebedarf, zusätzlichen Sinnesbeeinträchtigungen) unterkomplex ist, d. h. diese Bedarfe sind mit Hilfe von S.M.A.R.T-Kriterien nicht abbildbar. Die Anwendung dieser Kriterien auf die o. g. Zielgruppe führt wegen der fehlenden Abbildbarkeit dazu, dass gerade diesen Gruppen mit dem höchsten Hilfebedarf die benötigte Hilfebedarfskategorie meist nicht anerkannt wird.
Die Beauftragung der Bietergemeinschaft sowie die Umstellungsbegutachtung mit Hilfe des „Schmitt-Schäfer-Leitfadens“ waren mit den Verbänden nicht vereinbart. Dessen ungeachtet und trotz anhaltender Kritik der Verbände der freien Wohlfahrtspflege, der Einrichtungsträger und allen voran der Elternvereine, wurde die Umstellungsbegutachtung aller Wohnheimbewohner anhand des vorgegebenen „Schmitt-Schäfer Leitfadens“ durchgeführt und die Umstellung der Wohnheime in 2011 auf das neue System mit den Leistungstypen „Wohnen“ und „Tagesstruktur“ vollzogen.
Das Problem erschwerend, verhinderte der enge Zeitrahmen von knapp zwei Monaten, dass die Begutachtungen ausschließlich von Experten in einem homogenen Verfahren durchgeführt wurden. In der Folge waren die Ergebnisse, die die Grundlage für die Entscheidungen der Fallmanager bildeten, in vielen Fällen strittig und zahlreiche Widerspruchsverfahren machten Neubegutachtungen erforderlich.
Die befürchtete Benachteiligung schwerst-mehrfachbehinderter Menschen und Menschen mit Komorbidität aufgrund der Begutachtung nach dem H.M.B.-W.-Verfahren mit Hilfe des „Schmitt-Schäfer-Leitfadens“ trat ein. Es folgte eine überdurchschnittlich starke Absenkung der Hilfebedarfe von der Hilfebedarfskategorie D nach C. Dieser bis heute anhaltende Missstand wird von den Verbänden stark kritisiert.
Auf einen bereits vor einiger Zeit eingebrachten Einigungsvorschlag, den jetzigen Wohnheimbewohner*innen Bestandsschutz zu gewähren und nur neu aufgenommene Bewohner*innen nach dem „Schmitt-Schäfer-Leitfaden“ zu begutachten und einzustufen, wird von der Verwaltung nach wie vor nicht eingegangen.
Durchführung der Konvergenzphase I
Die Einrichtungsträger erhielten mit Wirkung vom 01.05.2011 neue Vertragsangebote, die auf deren einzelvertraglich vereinbarten Betreuungs- oder Leistungszeiten basierten.
In 2012 und 2013 wurde schließlich die erste Konvergenzphase gemäß Beschluss 02/2011 der Ko 75 umgesetzt. Dieser sah die schrittweise Anpassung auf die rahmenvertraglichen Soll-Leistungszeiten bei den Einrichtungsträgern vor, die diese bei der budgetneutralen Umrechnung zum 01.05.2011 in den Leistungsgruppen 1-6 überschritten.
Die Absenkung sollte bis zu 5 Prozent der für das Wohnheim bzw. den Einrichtungsträger vereinbarten Leistungszeiten je Leistungsgruppe bzw. bis zu 3,5 Prozent der Maßnahmepauschale (in EUR) umfassen. Bei Wohnheimen bzw. Einrichtungsträgern, deren Leistungszeiten zum gleichen Zeitpunkt unter den rahmenvertraglichen Soll-Leistungszeiten lagen, sollte im Gegenzug schrittweise eine Erhöhung bis zum Erreichen der rahmenvertraglichen vereinbarten Soll-Leistungszeiten stattfinden. Das Hammerschick-Modell führte damit zu „Verlierern“ und „Gewinnern“. Die Leistungszeiten, die den „Verlierern“ gekürzt wurden, erhielten die „Gewinner“.
Dieser Prozess war von Protest der Elternvereine begleitet. Unterstützt vom Paritätischen Berlin, vereinbarten diese in 2011 mit dem Land Berlin eine Evaluation der Hammerschickstudien, der Hilfebedarfsermittlung unter Anwendung des „Schmitt-Schäfer-Leitfadens“, der internen und externen Tagesstruktur und weiterer Themen. Dies war Bedingung der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege für ihre Zustimmung zur ersten Konvergenzphase.
Die Fragestellungen für die Evaluation wurden gemeinsam mit der Liga der Freien Wohlfahrtspflege entwickelt, im Einvernehmen öffentlich ausgeschrieben und in Auftrag gegeben. Mit der Evaluation sollten sowohl (Zitat der Ausschreibung) „Handlungsempfehlungen zur Weiterentwicklung der begonnenen Prozesse, als auch zu alternativen Hilfebedarfsfeststellungsinstrumenten und zur Etablierung eines medizinisch-pädagogischen Fachdienstes (…) erarbeitet werden.“
Ziel der Evaluation war die Überprüfung der Nachhaltigkeit und Angemessenheit des Berliner Systems anhand inhaltlich-fachlicher, finanzieller und verfahrenstechnischer Komponenten. Die Auswirkungen der neuen Leistungstypen auf Kostenentwicklung und Bedarfsdeckung sollten ermittelt, sowie eine Überprüfung und Bewertung der Umstellungsbegutachtung realisiert werden.
Die Gesellschaft für Beratung Bildung und Innovation (BBI GmbH) wurde nach einem nationalen Vergabeverfahren beauftragt, die Evaluation in 2013 durchzuführen. Diese brachte zu erwartende, aber auch neue Erkenntnisse. So wurde nicht nur nachgewiesen, dass Menschen mit Komorbidität durch die Umstellungsbegutachtung überdurchschnittlich nachteilig betroffen waren, sondern bereits durch das von Hammerschick vorgeschlagene Zeitmodell die Hauptleittragenden sind.
Infolge der eindeutigen Ergebnisse der Analysen und die darauf beruhenden Empfehlungen bezogen sich auf die Weiterentwicklung inhaltlich‐fachlicher Aspekte (z.B. den Aufbau eines zentralen medizinisch‐pädagogischen Fachdienstes, der Neustrukturierung des Aufgabenfeldes für das Fallmanagement, einer Initiierung der wissenschaftlich begleiteten fachpraktischen Debatte und Fokussierung von Inklusion, Teilhabe und Förderung von weitestmöglicher Selbständigkeit und Selbstbestimmung im Bereich stationärer Hilfen etc.), die Weiterentwicklung finanzieller Aspekte (z.B. die Sicherstellung der komplementären Betreuungsleistung, die Beendigung der Konvergenz etc.) sowie die Weiterentwicklung von Verfahrensfragen (z.B. der Optimierung der Bedarfsfeststellung nach dem H.M.B.‐W.‐Verfahren, der Weiterentwicklung der Dokumentation und des Berichtswesens etc.).
Die Durchführung der Konvergenz beruhte auf der Annahme, dass die im Berliner System verfügbaren Leistungsminuten „auskömmlich“ aber ungerecht verteilt sind. Auf dieser Voraussetzung fanden die Absenkungen und Erhöhungen der Leistungsminuten bei den Wohnheimen statt, je nachdem ob ihre einzelvertraglich vereinbarten Leistungsminuten über oder unter den rahmenvertraglich vereinbarten Soll-Leistungsminuten lagen oder nicht. Die Anpassungen fanden auf rein rechnerischer Ebene statt und trugen zum Abbau der Vergütungsunterschiede bei. Die Frage aber, ob die Wohnheime mit Erhöhung ihrer Leistungsminuten vorher unterversorgt oder die Wohnheime mit Absenkung vorher überversorgt waren, blieb offen.
Nach wie vor bestehende Vergütungsunterschiede können durch unterschiedliche Zusammensetzungen der Klientel gerechtfertigt sein. Aufgrund eindeutiger Hinweise der Evaluation sollte die in 2014 ausgesetzte Konvergenzphase II, wie zwischen dem Land Berlin und den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege per Beschluss 2/2011 vereinbart, erst nach Bearbeitung aller sechzehn Empfehlungen der BBI fortgesetzt werden.
Einseitige Fortsetzung der Konvergenzphase II in 2016
Bis heute besteht kein Konsens zwischen den Verbänden und der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales über die Umsetzung der Ergebnisse und Empfehlungen aus der BBI-Evaluation. Trotz anderslautender Beschlusslage setzte die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales einseitig die 2. Phase der Konvergenz zu Beginn 2016 fort.
Zwar gab es einen Vorschlag der Verwaltung über die Verteilung von rund 2.500 Minuten von den weniger betreuungsintensiven Leistungsgruppen 1-3 auf die betreuungsintensiven Leistungsgruppen 4-6. Dieser ließ jedoch alle weiteren Empfehlungen der Evaluation völlig unberücksichtigt. Einen derart „isolierten“ Beschluss über die Umverteilung der Leistungsminuten lehnten die Verbände ab und forderten weiterhin die Bearbeitung der Empfehlungen aus der Evaluation.
Die Verbände wiesen in verschiedenen Gremien und Gesprächen immer wieder auf die in der Auswertung der BBI-Studie angesprochenen System-Fehler hin und werden weiterhin fordern, diese endlich zur Kenntnis zu nehmen. Die Notwendigkeit, die ursprünglich vereinbarte Korrektur dieser System-Fehler vorzunehmen ist offensichtlich, um nachteilige Auswirkungen für die betroffenen Leistungsgruppen auszugleichen bzw. aufzufangen.
Die Verbindlichkeit der Zusage der Verwaltung in diversen Gremien und während einer Anhörung im Berliner Abgeordnetenhaus, unabhängig von der Umsetzung der 2. Phase der Konvergenz, die sich aus dem Gutachten des BBI ergebenden Arbeitspakete in den jeweiligen Arbeitsgruppen weiter zu verfolgen, wird bezweifelt. Zwar wurden vor einiger Zeit Arbeitspakete durch die Verwaltung vorgelegt und mit Beschlussentwurf erneut eingebracht, eine Zeitplanung wurde jedoch nicht vorgenommen und ist auch nicht abzusehen. Ein Kernproblem ist erfahrungsgemäß die immer länger werdende Arbeitsagenda zuständiger Gremien und Arbeitsgruppen, deren Bearbeitung in der Regel mit zahlreichen Konflikten zwischen den Verbänden und der Sozialverwaltung einhergeht.
Warum wurde vor Umsetzung der 2. Konvergenzphase eine Evaluation in Auftrag gegeben, wenn die Ergebnisse dieser eigens durch das Land Berlin in Auftrag gegebenen Evaluation des Hammerschick Projektes derzeit komplett außer Acht gelassen werden? Diese Frage muss gestellt werden, insbesondere vor dem Hintergrund des Beschlusses 2/2011 unter Punkt 3b Teil II der Ko 75:
„Weitere einrichtungs- –bzw. trägerbezogene Konvergenzverträge werden für den Vereinbarungs-zeitraum 1.1.2014-31.12.2017 auf der Grundlage der Erkenntnisse aus der Evaluation geschlossen.“
Die Verbände wiesen vergeblich darauf hin, dass die Erkenntnisse der Evaluation vor der Fortsetzung der Konvergenz bearbeitet werden müssten, da sie Auswirkungen auf diese haben würde und legte einen detaillierten Arbeits- und Zeitplan vor.
Auch der Korrekturfaktor für betroffene Wohnheime wurde abgelehnt. Dieser hätte insbesondere kleineren Wohnheimen für Menschen mit besonders hohem Betreuungsbedarf geholfen, ihr Angebot und damit die Versorgung der Betroffenen aufrecht zu halten.
Die Entwicklung im Land Berlin geht in die falsche Richtung und verleugnet Artikel 19 der UN Behindertenrechtskonvention. Menschen mit Behinderungen haben „…ein Recht auf unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft (…) und (…) gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben.“
Bis heute lässt sich die Landesseite auf keine inhaltliche Diskussion über die notwendige Bearbeitung der Maßnahmenpakete ein und erkennt den entsprechenden Vorschlag der Verbände zur inhaltlichen und zeitlichen Realisierung nicht an.
Zwar wird im Anschreiben der Leistungsvereinbarungen ab 2016 die Weiterführung der Arbeitsprozesse eingeräumt, es fehlt jedoch jeder Hinweis darauf, wann mit der Umsetzung der Empfehlungen der BBI-Studie zu rechnen ist.
Zusammenfassende Bewertung
Berlin verfügt über ein differenziertes und bewährtes Hilfesystem, das es zu erhalten gilt. Die gemeinsame Bearbeitung und Einigung über offene Fragen würde dies ermöglichen und ist dringend erforderlich.
Bisher ist jedoch das Gegenteil der Fall. Seit zwei Jahren werden die Evaluationsergebnisse nicht bearbeitet, das Vorgehen ist für die Spitzenverbände, Träger und Angehörige intransparent und nicht nachvollziehbar.
Menschen mit hohen und komplexen Hilfebedarfen werden insbesondere und ganz offensichtlich durch die Reduktion der Soll-Zeiten im Rahmen der Umstellungsbegutachtung und des im H.M.B.-W-Verfahren zugrunde gelegten Zeitmodells nach Hammerschick benachteiligt. Die Überarbeitung des H.M.B.-W. Verfahrens inkl. des „Schmitt-Schäfer-Leitfadens“ ist zwingend erforderlich.
Ebenso bedarf es dringend einer Korrektur systemischer Fehler der Konvergenzphase 2, die zu massiven, existenzgefährdenden Absenkungen insbesondere bei Trägern kleinerer Wohnheime führt. Deren spezifisches, seit Jahren bewährtes Betreuungskonzept muss jedoch weiterhin betroffenen Menschen mit Behinderungen vorgehalten werden.
Vor diesem Hintergrund sollte die Umsetzung der Empfehlungen aus der BBI-Studie zum Hammerschick Projekt und die Nachbesserung der Konvergenz zeitnah erfolgen.
Der Paritätische Berlin möchte die Interessen der verschiedenen Beteiligten und betroffenen benachteiligten Menschen vertreten und schlägt daher folgendes Vorgehen vor:
1. Beginn bzw. Intensivierung der Bearbeitung der Evaluationsergebnisse durch die entsprechenden Gremien der Kommission 75 und anderer verantwortlicher Gremien
2. Einigung auf eine verbindliche Zeitplanung, die die abschließende Bearbeitung aller offenen Fragen bis Ende des vierten Quartals 2016 vorsieht
3. Bei Bedarf Einbeziehung externer Ressourcen im Auftrag und Steuerung der Gremien zur Prozessbeschleunigung
4. Erhalt von bewährten Strukturen im Versorgungssystem z.B. durch Berücksichtigung der Festlegung in Beschluss 2/2011
Letztendlich geht es um die Interessen von durch Behinderung benachteiligter Menschen, die ein Recht auf adäquate Betreuung haben. Dass dies dem gemeinsamen Interesse aller Beteiligten entspricht, kann natürlich vorausgesetzt werden. Intention des Paritätischen Berlins ist es daher, die Verständigung über Realisierungsmöglichkeiten zu konkretisieren und natürlich ebenso konkrete Lösungen für die Einrichtungen zu finden, denen im Zuge der beabsichtigten Optimierung der Behindertenhilfe die Möglichkeit genommen wird, ihr bewährtes Angebot für die Betroffenen aufrecht zu erhalten.
Über die Autorin:
Regina Schödl ist Referentin für Soziales / SGB XII beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, Landesverband Berlin e.V.